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Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
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las er blanken Hass. Der Boden glänzte glitschig von Blut. Ein Schuss durchschnitt den Kampflärm. Schreie gellten ohrenbetäubend. Leblose Körper lagen auf dem Fußboden, die edlen Seidengewänder rot und feucht. Annah Venell war unter die Tischplatte gekrochen, den kleinen Jonneth drückte sie fest an ihre Brust. Einige der bewaffneten Fremden stürmten zur Treppe, die ins Obergeschoss führte.
    Wie eine Revolverkugel fuhr Cirnod ein Geistesblitz in den Kopf: Sie suchen das Königspaar und dessen Kind! Der Schock über die Erkenntnis lähmte jede Faser seines Körpers, kroch ihm wie injiziertes Gift durch die Adern. Während jeder um sein Leben bangte oder kämpfte, blieb Cirnod wie betäubt sitzen. Nur ein einziger Gedanke beseelte ihn. »Barmherziger Gott, behüte das Königskind.«

Eins
    Im Krieg
    Zweiundzwanzig Jahre später
    D ies mochte einst ein idyllischer Ort gewesen sein. Idyllisch, bevor Hunderte von Stiefelpaaren sämtliche Vegetation unter sich zerquetscht hatten. Idyllisch, bevor die Luft erfüllt war von Schreien, klirrenden Säbeln und dem ohrenbetäubenden Knallen von Schusswaffen. Kjoren empfand nur kurz Bedauern über die Vernichtung dieses Paradieses, denn er war auf den Kampf fokussiert, auf den Mann, der ihm mit gezücktem Schwert gegenüberstand und ihn mit einem irrsinnigen Blick fixierte. Es war nicht einmal ein richtiges Schwert, eher ein langes Messer zum Häuten von Tierkadavern. Sie hatten erwartet, dass die Firunen in diesem abgelegenen Teil von Eld nicht über die nötigen Waffen verfügten, um einer Armee ausgebildeter Valanensoldaten zu trotzen. Trotzdem wehrten sie sich ausgesprochen verbissen, als hätten sie noch irgendetwas zu verlieren. Kjoren verbot sich jegliches Mitgefühl. Er hatte genug Schlechtes erlebt, um sich länger mit dem Schicksal der einzelnen wehrhaften Firunen eines Randdorfes zu befassen. Im Grunde waren sie doch selbst schuld. Weshalb mussten sie sich auch mit den Soldaten des Königs anlegen?
    Kjoren hielt sein Schwert mit beiden Händen fest umklammert. Es war eine solide Waffe, sicherlich eine Elle länger als das Häutermesser des Firunenbauern . Sein Gewehr hatte Kjoren schon zu Beginn des Gefechts im Schlamm verloren. Hauptmann Lenry würde ihm sicherlich am Abend eine Strafe dafür aufhalsen, falls Kjoren lebend aus dem Kampf hervorgehen sollte. Am liebsten hätte er den Bauern verjagt und ihn angebrüllt. »Geh nach Hause! Du kannst nicht gewinnen!« Aber das wäre nicht nur grober Ungehorsam gegenüber seinem Offizier gewesen, sondern hätte ihm auch keine Sympathien bei seinen Kollegen eingebracht. Er durfte sich am allerwenigsten von allen Soldaten der Einheit erlauben, Schwäche zu zeigen.
    Kjoren schluckte die Bedenken zusammen mit den düsteren Gedanken hinunter . Er t r at einen Ausfallschritt auf den Bauern zu, der angesichts der riesigen Klinge, die vor seiner Nase in der Luft hing, nicht etwa zurückwich, sondern seinerseits einen Schritt auf Kjoren zukam. Metall schlug auf Metall. Der Firune holte mit dem Messer aus und versuchte, Kjoren am Hals zu erwischen. Kjoren lächelte über den lahmen Versuch. Er war bereits ausgewichen, bevor es in die Nähe seines Kopfes gekommen war , und holte mit seiner langen Klinge aus. Er hätte dem Bauern ohne Weiteres den Kopf vom Rumpf schlagen können, aber er begnügte sich damit, ihm den Schwertarm abzutrennen. Kjoren schloss die Augen, als das Metall durch Fleisch und Knochen glitt wie durch Butter. Er nahm den Schrei des Bauern noch wahr, hörte, wie er mit einem Klatschen auf die schlammige Erde sackte, doch er hatte sich längst abgewandt, bereit, dem nächsten Feind zu begegnen. Er wollte die Qual des Firunen nicht sehen. Es interessierte ihn auch nicht, was aus dem Mann werden würde. Er war jetzt Soldat. Er durfte keine Reue zeigen. Er musste nur funktionieren – töten.
    Ein Horn ertönte wie Donnergrollen. Kjoren , der sich an den Rand des Kampfgeschehens zurückgezogen hatte, ließ den Blick über das Chaos schweifen. Er suchte die Deckung eines Baumes, um abseits des Gefechts Kraft schöpfen zu können. Fast jeder seiner Kameraden war in einen Kampf verwickelt. Wieder ertönte ein Horn. Dann krachte ein ohrenbetäubender Schuss und zerschnitt den Lärm des Kampfgetümmels. Im Augenwinkel sah Kjoren , wie etwas von der Größe eines menschlichen Körpers aus der Luft zu Boden fiel. Er konnte es nicht genau erkennen, aber er wusste, was soeben wie ein Stein auf die Erde aufgeschlagen

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