Jenseits von Gut und Böse
deshalb jedoch nicht! Im Gegenteil: Wie der zweite Teil meiner Untersuchung (»Die neue Leichtigkeit des Seins«) zeigen wird, sind mit dem Abschied von Gut und Böse, Schuld und Sühne vielfältige positive Konsequenzen verbunden – sowohl für das Individuum wie für die Gesellschaft.
Geben wir Adam und Eva also eine zweite Chance! Als sie das erste Mal die Früchte vom Baum der Erkenntnis pflückten, waren diese Erkenntnisfrüchte bedauerlicherweise noch höchst unreif. (Was auch durchaus verständlich ist, schließlich konnten die Verfasser der biblischen Legende nur auf den begrenzten Wissensstand einer archaischen Hirtenkultur zurückgreifen!) Jedenfalls hat sich das Versprechen der Schlange, wir würden durch die »Erkenntnis von Gut und Böse« zu Göttern, nicht erfüllt. Im Gegenteil! Diese vermeintliche »Erkenntnis« hat unseren Denkhorizont weiter verengt und hasserfüllte Rachefeldzüge gegen das vermeintlich »Böse« heraufbeschworen.
Es ist, wie ich meine, an der Zeit, die geheimnisvollen Früchte vom Baum der Erkenntnis neu zu ernten. Sie sind nämlich erst in jüngster Vergangenheit, Jahrtausende nach der Entstehung der biblischen Mär, reif geworden. Diese Reife zeigt sich nicht zuletzt darin, dass heute mit ihrem Verzehr keine unhaltbaren Versprechungen mehr verbunden sind. Klar ist: Die »Erkenntnis der Nichtigkeit von Gut und Böse« wird uns ganz sicher nicht zu »Göttern« machen, vielleicht aber doch – und das ist sicherlich alle Erntebemühungen wert! – zu etwas freundlicheren, kreativeren, humorvolleren Menschen.
Einer derer, die diese Chance erkannten, war Albert Einstein. In seinem ebenso knappen wie bewegenden Aufsatz »Wie ich die Welt sehe« bekannte der große Physiker, dass er keineswegs an die Willensfreiheit und die aus ihr abgeleiteten Konzepte glaube. Dass der Mensch nicht nur aus äußerem Zwang , sondern auch aus innerer Notwendigkeit handle, dass der menschliche Wille also keineswegs frei , sondern durch vielerlei Ursachen determiniert sei, schreckte Einstein nicht. Im Gegenteil: Er sah darin eine »unerschöpfliche Quelle« der Toleranz und des Humors:
»Schopenhauers Spruch: ›Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber nicht wollen, was er will‹, hat mich seit meiner Jugend lebendig erfüllt und ist mir beim Anblick und beim Erleiden der Härten meines Lebens immer ein Trost gewesen und eine unerschöpfliche Quelle der Toleranz. Dieses Bewusstsein mildert in wohltuender Weise das leicht lähmend wirkende Verantwortungsgefühl und macht, dass wir uns selbst und die andern nicht gar zu ernst nehmen; es führt zu einer Lebensauffassung, die auch besonders dem Humor sein Recht lässt.« 12
Was Einstein hier in wenigen Worten umreißt, ist jene »neue Leichtigkeit des Seins«, die im vorliegenden Buch entfaltet wird.
Bevor wir nun in die Untersuchung einsteigen, noch ein Wort zu ihrer formalen Anlage: Ich habe mich bemüht, die Darstellung möglichst einfach zu halten, den Gebrauch wissenschaftlicher Fachausdrücke auf ein Minimum zu beschränken und weiterführende Fragestellungen, die wohl nur einen Teil der Leserschaft interessieren werden, im Anmerkungsapparat zu behandeln. Die Allgemeinverständlichkeit ist mir ein besonderes Anliegen, weil die Fragen, die wir diskutieren werden, zu wichtig sind, als dass man sie einem kleinen, exklusiven Kreis von Experten vorbehalten sollte. Schließlich geht es hier um Kernfragen unserer Existenz: Wer sind wir? Was wollen wir? Was können, was sollten wir wollen? Worauf dürfen wir hoffen?
Auch ohne die Hürden wissenschaftlicher Sprachpanzerung ist das Terrain, auf dem wir uns bewegen werden, unwegsam genug, gilt es doch, jahrtausendealte Denkmuster durch eine neue Sicht der Dinge zu ersetzen. Ein solcher Perspektivenwechsel wird vielen von uns schwerfallen. Wir sind es nicht gewohnt, Interessenkonflikte moralinfrei zu beurteilen und uns selbst und unser Umfeld jenseits des Schuld- und Sühne-Prinzips zu bestimmen. Doch ich bin überzeugt, dass unser Gehirn sehr wohl in der Lage ist, neue Schaltmuster zu etablieren – Schaltmuster, die uns die Augen dafür öffnen werden, wie einfach und erfüllend das Leben eigentlich sein könnte.
Wenn das vorliegende Buch auch nur einen winzigen Beitrag zur Entwicklung einer solchen alternativen, lebensbejahenden Bewusstseinskultur leisten könnte, hätte es seine Aufgabe erfüllt …
Die neuen
FRÜCHTE DER ERKENNTNIS
TEIL I
Die neue
LEICHTIGKEIT DES SEINS
TEIL II
ENTSPANNTE
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