Jenseits von Gut und Böse
Bestimmungen der Shari’a unterworfenen!) »Kairoer Deklaration der Menschenrechte im Islam« zu bringen. Sollte dies gelingen, wäre das wohl das Ende der Menschenrechtsidee. Denn welchen Wert hätte etwa das Recht auf freie Meinungsäußerung, wenn es nur für Aussagen gelten soll, die in Übereinstimmung mit der Schari’a stehen? Welchen Wert hätte das Recht auf Leben, wenn die staatliche Ermordung von Glaubensabtrünnigen und Homosexuellen als »humanitärer Gnadenakt im Sinne der Menschenrechte« gedeutet werden kann? Die skandalösen Vorgänge im UN-Menschenrechtsrat, der zunehmend dazu missbraucht wird, statt Individuen autoritäre Regime und Glaubenssysteme zu schützen, sollten uns sehr zu denken geben.
Dass der Karikaturenstreit genutzt werden würde, um die Menschenrechte sowie insbesondere das Recht auf freie Meinungsäußerung unter Druck zu setzen, war schon im Februar 2006, auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um die Mohammed-Karikaturen, deutlich erkennbar. Deshalb erhielt ich damals den Auftrag, im Namen der Giordano Bruno Stiftung eine »Petition zur Verteidigung der Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit« zu formulieren. 8
Die Petition fand in den Medien beachtliche Resonanz, was zur Folge hatte, dass ich in den stürmischen Tagen des Februars 2006 häufig zum Thema »Darf man Religionen kritisieren?« interviewt wurde. Ich versuchte in meinen Beiträgen vor allem eines deutlich herauszustellen, nämlich dass es überhaupt keinen vernünftigen Grund dafür gibt, ausgerechnet religiöse Aussagen von der Kritik auszunehmen. Denn gerade bei Aussagen, die einen besonders hohen Wahrheitsanspruch für sich reklamieren (und dies ist bei religiösen Aussagen normalerweise der Fall!), ist das Prinzip der Kritik schlichtweg unerlässlich! Wenn jemand bloß einen bescheidenen Wahrheitsanspruch formuliert (»Zurzeit nehme ich an, dass X wahr ist, aber ich kann mich natürlich irren. Vielleicht höre ich schon morgen bessere Argumente und erkenne, dass Y statt X wahr ist«), so ist eine kritische Stellungnahme, sofern X tatsächlich unwahr sein sollte, zwar sinnvoll, aber nicht unbedingt im gleichen Maße erforderlich wie in dem Fall, dass jemand mit einem sehr umfassenden Wahrheitsanspruch auftritt (»Es wurde von Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, offenbart, dass X wahr ist. Daran müssen sich alle Menschen halten – nicht nur heute, sondern auch morgen und in alle Ewigkeit! Wer gegen diese heilige Wahrheit verstößt, der sei verflucht!«).
Nun ist es tragischerweise so , dass ausgerechnet diejenigen, die Kritik eigentlich am dringendsten benötigten, am wenigsten in der Lage sind, Kritik zu ertragen . Auch dies hat der Karikaturenstreit deutlich werden lassen: Männer, die es mit einem milden Lächeln quittieren, wenn direkt vor ihren Augen eine Frau in den Boden eingegraben und gesteinigt wird, brechen vor Schmerz in sich zusammen, wenn sie eine harmlose Zeichnung sehen, auf der ihr ach so geliebter Prophet karikiert wird. (Wohlgemerkt: Diese Männer sind nicht »böse«, sie wurden bloß von einem absurden, menschenverachtenden Memplex zu solch absonderlichen Reaktionen programmiert!) Die Frage ist: Darf man gläubigen Menschen (nicht bloß den Hardcore-Gläubigen, die an Steinigungen Vergnügen finden!) jene Schmerzen zufügen, die mit einer kritischen Infragestellung ihrer »Glaubenswahrheiten« unweigerlich verbunden sind? Ist es legitim, mittels Kritik (sei sie nun satirisch formuliert oder nicht) religiöse Gefühle zu verletzen?
Aus einer freien, das heißt vom humanistisch-aufklärerischen Memplex getragenen Perspektive kann es hierauf nur eine Antwort geben: Selbstverständlich ist es legitim, religiöse Gefühle zu verletzen, wenn dies zur Durchsetzung einer aufgeklärteren und humaneren Sichtweise erforderlich ist! Es wäre falsch verstandene Rücksichtnahme, würde man das Projekt der Aufklärung aufkündigen, nur weil sich eine Gruppe von Menschen durch die Entzauberung ihrer Illusionen gekränkt fühlen könnte. Schließlich ist es ja gerade die Funktion der Aufklärung, tradierte Denkblockaden zu sprengen, was zwangsläufig lieb gewonnene Vorurteile infrage stellt.
Warum jedoch wird das aufklärerische Aufbrechen von Vorurteilen von religiöser Seite aus so schnell als Verletzung empfunden? Dies ist kaum darauf zurückzuführen, dass Aufklärer in ihrer Kritik mit besonderer Brachialgewalt vorzugehen pflegen, sondern vielmehr darauf, dass viele Gläubige in Bezug
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