Jenseits von Uedem
wieherte Ackermann. »Ich war an derselben alten Schleifanstalt wie du, drei oder vier Klassen unter dir. Dat de dat nich' mehr weiß'!«
Der Kollege kam mit einer großen Papiertüte aus dem Bistro. Van Appeldorn kurbelte die Scheibe runter.
»Guten Morgen«, grüßte der Luxemburger. »Ich habe mich gedacht, ihr habt Appetit.« Er schob die Tüte durchs Fenster: Chocolatines und warme Croissants.
»Bist 'n Engel«, jauchzte Ackermann.
Aber der Kollege winkte ab. »Die Verdächtige hat sich gerade auf der Toilette frisch gemacht und umgezogen.
Jetzt nimmt sie ein kleines Frühstück.«
Schlag neun trat Susanne Holbe wieder auf die Straße, ging zu ihrem Auto, verstaute die Reisetasche und nahm einen braunen Aktenkoffer heraus. Sie trug jetzt ein korallenrotes Sommerkostüm und weiße Sandaletten.
»Bisken kühl für die Jahreszeit. Die wird sich den Arsch abfrieren, so leid et mir tut«, kicherte Ackermann schadenfroh.
»Mist!« fluchte van Appeldorn. »Sie guckt rüber. Hoffentlich sieht sie das Klever Kennzeichen nicht.«
Aber Susanne Holbe fuhr sich kurz durchs Haar, strich ihren Rock glatt, hängte sich die Handtasche über die Schulter und betrat die Bank. Kurz hinter ihr war ein Luxemburger Kollege, der andere schlenderte dreißig Sekunden später hinein.
»Schwein gehabt«, atmete van Appeldorn aus. »Ich vertrete mir jetzt die Beine.«
»Wart' noch«, hielt Ackermann ihn zurück. »Die kennt uns doch beide.«
»Ich passe schon auf, keine Sorge.« Van Appeldorn streckte seine Beine aus dem Auto. »Aah, tut das gut!«
»Ej! Et geht loss!« Ackermann stieß die Beifahrertür auf.
»Der Kollege hat grad gewunken. Los komm, Mensch!«
Als Susanne Holbe das erste Bündel Geldscheine in den Koffer packte, legte sich ihr sachte eine Hand auf die Schulter. Sie zuckte zusammen und drehte sich dann langsam um.
Ackermann sah sie voller Bedauern an. »Dat Leben kann manchma' gemein sein, wa? So kurz vorm Ziel.«
Holbes Gesicht war wie aus Wachs.
Einer der Luxemburger Polizisten zeigte der Bankfrau am Schalter seinen Ausweis und gab ein paar knappe Erklärungen. Sie sperrte den Mund auf und nickte tumb.
Van Appeldorn schob sich neben Ackermann. »So, Frau Holbe. Sie tun jetzt das Geld in den Koffer, und dann können wir fahren.«
Susanne Holbe starrte auf ein Werbeplakat an der Wand und rührte keinen Finger.
»Auch gut«, meinte van Appeldorn und packte selbst das Geld zusammen.
»Die steht unter Schock«, raunte Ackermann, als sie zum Auto gingen.
»Die?« Van Appeldorn tippte sich an die Stirn. »Dazu ist die viel zu abgezockt.«
Während der nächsten sechs Stunden sprach Susanne Holbe kein einziges Wort.
Astrid hatte van Appeldorn noch nie so wütend gesehen. Er stürmte ins Zimmer und pfefferte sein Jackett in die Ecke. Unter den Achseln und auf dem Rücken seines Jeanshemdes zeichneten sich große Schweißflecken ab; er stank. Die letzten drei Stunden hatte er mit der Vernehmung von Susanne Holbe verbracht.
»Bitte!« giftete er Astrid an. »Ich überlasse unserer Fachfrau das Feld.«
»Mir?« fauchte Astrid zurück. »Mit meinen unzulässigen Suggestivfragen?«
»Hee«, ging Toppe dazwischen, »jetzt aber mal halblang!«
Heinrichs sah kreuzunglücklich aus. »Hat sie immer noch nichts gesagt?«
»Ach!« brüllte van Appeldorn und ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Diesen Betrugsmist hat sie restlos zugegeben. Da war ja auch nichts zu machen. Sie hat sogar schon ganz brav Ackermanns dämliches Protokoll unterschrieben. Zu den Giftmorden sagt sie nur ganz schlicht ein Wort: Nein. Und sonst keine Silbe. Sie schweigt einfach und glotzt aus dem Fenster.«
»Na gut.« Astrid stand auf. »Versuch ich's halt mal.«
Van Appeldorn hörte sie gar nicht. Er hob seine Jacke auf.
»Wißt ihr was? Mir ist das jetzt alles scheißegal. Ich geh' pennen. Ihr könnt mich alle mal.«
Heinrich stützte die Stirn in beide Hände und starrte auf seine Ergebnisse: Karl Menge war an Rattengift gestorben, Martin Heisterkamp an einem Lösungsmittel, Wendelin Mairhofer hatte Schierling zu sich genommen, Larissa Heidingsfeld Morphin, wie es in den unreifen Früchten des Schlafmohns vorkam. Bei Johanna van Baal hatten sie nichts nachweisen können, auch nicht bei Otto Geurts, aber selbst bei ihm ... Heinrichs hatte sich extra die Stelle aus Bonhoeffers Toxikologiefibel rausgeschrieben: Bei plötzlicher Entziehung von Barbituraten können Kreislaufinsuffizienz und schwere Erregungszustände auftreten: In
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