Jenseits von Uedem
manchen Fällen führt der plötzliche Entzug unter grobem Tremor, profusem Schwitzen, Halluzinationen, vaskulärem Schock und hohem Temperaturanstieg zum Exitus.
»Ich durchwühle den Müll und lasse Bodenproben aus dem Garten nehmen«, murmelte er. »Schierling, Schlafmohn, Knollenblätterpilz, da muß doch noch was zu finden sein!«
»Und?« antwortete Toppe. »Was hilft uns das? Indizien, mehr nicht.«
»Die Bücher«, beharrte Heinrichs. »Wenn wir die Bücher finden .«
Toppe sah ihn nur an.
»Oder das Rattengift, die Flasche. Irgendwo muß sie sich das Zeug doch auch besorgt haben. Genau wie das Lösungsmittel.«
»Ja«, seufzte Toppe. »Das ist eine Möglichkeit. Wir müssen uns mal wieder die Hacken abrennen. Außerdem werden wir die nächsten Monate wohl im Altenheim verbringen, bis wir jeden einzelnen Todesfall rekonstruiert haben. Falls das überhaupt möglich ist ...«
Heinrichs schaute ins Leere. »Ich habe euch gesagt, die Frau ist sauintelligent. Allein schon die Auswahl der Gifte. Die paßten immer genau zur Vorerkrankung. Kein Mensch wäre drauf gekommen, daß die nicht normal gestorben sind. Ich glaube, die hat uns im Sack.«
»Abwarten«, sagte Toppe und schob seinen Papierkram zusammen. »Auch intelligente Menschen machen Fehler.«
28
Astrid fand Ackermann allein mit Frau Holbe im Büro vom K 4, alle anderen Kollegen hatten längst Feierabend gemacht.
Susanne Holbe sah zwar sehr müde aus, aber ihre Frisur saß immer noch perfekt, und das Make-up war nicht verschmiert. Sie blickte Astrid gerade in die Augen und begrüßte sie sachlich.
»Wie ist eigentlich Ihr Verhältnis zu Ihrer Tante?«
Die Holbe hatte Mühe, ihre Überraschung zu verbergen.
»Gut«, antwortete sie mit einem deutlichen Fragezeichen in der Stimme.
»Sie mögen alte Menschen, nicht wahr?«
Darauf kam keine Antwort.
»Unsere Berufe haben eines gemeinsam«, sinnierte Astrid.
»Es ist schon sehr hilfreich, wenn man Menschen gern hat. Sie haben Toxikologie studiert?«
»Pharmazie.«
»Ach ja, klar, das habe ich verwechselt. Aber Sie haben in einem toxikologischen Institut gearbeitet. Das muß sehr interessant gewesen sein.«
Susanne Holbe drehte langsam den Kopf zur Seite und sah zum Fenster hinaus.
»Gifte faszinieren Sie, nicht wahr? Wenn man sich so die Fotos von Ihrem Garten anguckt ... Kann man diese Pflanzen eigentlich einfach so kaufen?«
Ackermann hatte die ganze Zeit leise mit den Fingern einen schmissigen Rhythmus auf die Tischkante getrommelt und zog ertappt den Kopf zwischen die Schultern, als Astrids Blick ihn traf. Sie biß sich auf die Lippen.
»Die Leute waren alt und krank. So haben Sie es doch gesehen, oder? Die mußten sowieso bald sterben.« Sie spürte, wie sie die Kontrolle verlor. »Das Geld hatten die nicht mehr nötig. Sie schon! Das kann ich alles noch nachvollziehen, nur eines nicht: warum haben Sie nicht gewartet? Warum mußten Sie sie töten?«
Susanne Holbe sah an Astrid vorbei zu Ackermann. »Ich bin müde.«
»Tja«, bedauerte Ackermann, »dat is' nu' Pech.«
»Haben nicht auch Häftlinge ein Recht auf Schlaf?«
Ackermann griente nur.
Toppe war überrascht, als er in die Kirche kam. Die Turnhallenfenster sahen von innen sehr schön aus, filterten das Licht zu einer ruhigen Kühle. Alles war fast protestantisch schlicht, die Farben angenehm puritanisch: Grau und ein wenig dunkles Rot. Rechts und links vom Eingang befanden sich das Taufbecken und eine kleine Marienkapelle. Im Querschiff unter einem hohen, glatten Kuppelbogen der Hochaltar. Toppe schritt leise den Mittelgang entlang. Der Küster war nirgendwo zu sehen, dabei hatte seine Frau gesagt, er sei bestimmt in der Kirche. Links unter der Empore für den Organisten und den Chor führte eine schmale Tür in die Sakristei. Sie war verschlossen. Toppe lugte durch das Fensterchen daneben. In dem quadratischen Raum standen lauter ausrangierte Möbel: ein alter Tisch, ein paar Stühle, ein Metallspind, gegenüber ein Kleiderschrank aus Kirschholz; an dem winzigen Fenster nach draußen hingen vergilbte Stores. Links hinten gab es eine zweite Tür, die nach draußen führen mußte.
Ein Geräusch ließ Toppe herumfahren. Durch den Seiteneingang kam Gottfried Bäcker herein, der Küster. Er war erstaunt. »Wieso interessiert sich die Kripo für unseren Pfarrer?«
Toppe lachte. »Eigentlich weiß ich noch gar nicht so genau, ob ich mich für ihn interessiere. Waren Sie auch in der Messe, in der Ihr Pfarrer gestorben
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