Jerry Cotton - 0505 - Flirt mit dem Verderben
eigentlichen Brief.
Insgesamt drei verschiedene Abdrücke lagen von der steckbrieflich gesuchten Mary Gotham vor.
Vier auswertbare Abdrücke von Alfred Cramery.
Alfred — Alfredo, überlegte ich.
Eine ganze Serie von Abdrücken war auf dem Umschlag zu finden. Einige davon schieden aus. Es waren die Prints von Helen, Mr. High und dem Postboten, der den Eilbrief gebracht hatte. Was übrigblieb, waren die Abdrücke eines Mannes, der vermutlich den Brief von dem Platz, an dem Phil gefangengehalten wurde, zum nächsten Post-Office gebracht hatte.
Abgestempelt beim Post-Office New York 4.
Ich brauchte nicht auf unseren riesigen Stadtplan zu schauen. New York 4, das ist die Südspitze von Manhattan.
Die Fingerabdrücke auf dem Umschlag stammten von einem gewissen Oscar Navarro. Es wunderte mich schon nicht mehr, daß seine Karteikarte ihn als einen besonders schweren Jungen auswies, der seit einigen Jahren vergeblich von FBI und INTERPOL gesucht wurde.
Ich hatte die ersten Steinchen für das große Mosaik.
Irgendwo an der Südspitze von Manhattan verbarg sich eine Gang, die offensichtlich ausnahmslos aus gesuchten Schwerverbrechern bestand. Aus Menschen, die nichts mehr zu verlieren hatten. Aus Menschen, die über Leichen gehen konnten, ohne deshalb eine schwerere Strafe befürchten zu müssen, als sie ihnen jetzt schon sicher war.
Und Phil war in der Gewalt dieser Gang.
Ich griff zum Telefon und rief unseren Einsatzleiter an.
»Wir machen einen Sondereinsatz auf der Südspitze unserer schönen Insel«, sagte ich. »Bitte neutrale Fahrzeuge. Nachricht an die City Police, die aber keinesfalls in Erscheinung treten soll. Dafür jedoch Alarmbereitschaft für einen eventuellen Großeinsatz in diesem Gebiet. Für alle Fälle auch entsprechende Nachricht an die Hafenpolizei und die Hubschrauberstaffel.«
***
Leise knarrte die Treppenstufe.
Der wegen Raubmordes an einem Taxifahrer gesuchte John P. Crown fuhr herum.
»Stop!« zischte er in die Dunkelheit.
»Idiot!« krächzte es leise zurück.
»Melde dich gefälligst vorher, sonst hast du plötzlich ein paar Löcher im Bauch, die dir gar nicht gefallen«, flüsterte Crown.
»Was ist?« fragte der Krächzende.
»Nichts«, murrte Crown. »Ein paarmal habe ich ihn gehört. Wahrscheinlich hat er sich den Kopf gestoßen. Er wird aber schon noch merken, daß die Fesseln nicht so scharf angezogen sind, daß er nicht allein herauskäme.«
»Vielleicht doch?« argwöhnte der Krächzende.
»Sobald er probiert, etwas daran zu machen, müßte der Knoten aufgehen. Wenn er das geschafft hat, wird er auch feststellen, daß die Tür nicht abgeschlossen ist. Und dann…«
Crown schlug mit der flachen Hand leicht auf seine Maschinenpistole.
»Jage ihm das ganze Magazin in den Bauch«, riet der Krächzende.
»Natürlich«, flüsterte Crown zurück. »Ich kann nur nicht verstehen, warum der Generaldirektor überhaupt dieses Theater macht.«
»Für sein Gewissen«, lächelte der Krächzende hämisch. »Er will ihn nicht abmurksen, sondern es so machen, wie es die Bullen auch machen. Auf der Flucht erschossen!«
***
Phil hielt den Atem an. Mit allen Fasern konzentrierte er sich auf die kaum wahrnehmbaren Geräusche, die von draußen zu ihm hereindrangen. Es gab keinen Zweifel. Auf dem Flur vor dem Raum, in dem er eingesperrt war, unterhielten sich mindestens zwei Männer.
Phil konnte kein Wort von dieser Unterhaltung verstehen. Aber sie warnte ihn. Er wußte nun, daß seine Gegner ihn nicht aus dem Auge ließen.
Phil lächelte in der Dunkelheit.
Dann wurde er wieder ernst. Und schließlich gespannt. Er bewegte die zusammengefesselten Unterarme.
Die Fesseln lockerten sich.
Phil stieß einen hörbaren Pfiff aus. Jetzt tat er das, was er bisher vermieden hatte. Er zerrte mit aller Kraft an den Fesseln.
Eine korrekte Fesselung kann sich unter starkem Zug enger zusammenziehen, kann tiefer in die Gelenke einschneiden.
Diese Fesselung lockerte sich weiter.
Phil hatte längst erkannt, daß die Gangster des sogenannten Generaldirektors keine Anfänger waren. Er schätzte sie durchweg als alte Berufsverbrecher ein. Einem Berufsverbrecher aber würde es kaum passieren, daß er eine so primitive Fesselung anlegen würde. Schon gar nicht bei einem G-man.
Aha, dachte Phil. Dahinter steckt eine Absicht.
Er arbeitete jetzt wie ein Entfesselungskünstler. Es dauerte ein paar Minuten, dann waren Phils Hände frei. Er atmete erleichtert auf. Bisher war er völlig wehrlos, völlig
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