Jerry Cotton - 0530 - Mein grausamster Partner
High.«
»Wird erledigt. Ende.«
Ich legte auf. Jetzt fühlte ich mich wohl. Die Schalterhalle war leer bis auf zwei junge Frauen, die an einem Schreibpult standen und Briefe frankierten. Hinter dem Schalter döste ein älterer Postbeamter. Ab und zu schlug er nach einer surrenden Fliege. Alles bot ein völlig normales Bild. Ich konnte mir nur schwer vorstellen, daß es in dieser Stadt unter der Oberfläche brodelte.
Ich suchte eine bestimmte Straße und trabte stadtauswärts. Denn das Arkansas-Hotel liegt am Fuße eines Berges. Er ist bewaldet. Als Junge habe ich dort mit Leidenschaft Indianer gespielt. Ich erinnerte mich an die Felsen oben auf dem Gipfel. Zwischen ihnen entspringt eine Quelle. Weiter unten verbreitert sich das Rinnsal zu einem lustigen eiskalten Gebirgsbach, der hinter dem Hotel vorbeifließt. Früher gab es dort zwei Teiche — Zuchtteiche für Forellen. Bei dem Gedanken lief mir das Wasser im Mund zusammen. Denn Tante Helens Küche war bekannt in ganz Mississippi für ihre wundervollen gebackenen Forellen.
Die letzten Häuser von Meadville blieben zurück. Ein kurzes Stück führte die Straße durch den Wald. Dann lag das Hotel vor mir.
Ein dreistöckiger, ländlich gehaltener Bau. Gemütlichkeit strahlte er aus. Wie immer war der große Parkplatz gefegt.
Vier Wagen standen dort. Die Fensterscheiben des großen Hauses blitzten in der Sonne. Auf dem Dach saß ein Star und sträubte sein betupftes Gefieder. Etwa dreißig Betten hat das Hotel. Aber sie waren selten alle belegt. Um Hausgäste bemühte sich Tante Helen nicht, denn — wie schon gesagt — ihre Attraktion ist die Küche. Und zum Dinner bleibt im Restaurant kein Stuhl frei. Dann kommen die Feinschmecker aus dem ganzen Bezirk.
Ich ging über den Parkplatz. Die Sonne brannte mir ins Genick. Alles war wie früher.
Ich benutzte den Haupteingang, ging über die offene Veranda, durch einen kurzen Flur, aber nicht bis zum Empfang, an dem nur selten jemand saß, sondern links durch die Tür ins Restaurant.
Niemand hielt sich dort auf. Es war elf Uhr vormittags.
Ich sah die weißgedeckten Tische und im Hintergrund eine lange Theke. Ich suchte mir einen Fensterplatz.
Kaum daß ich saß, öffnete sich die Tür, die zur Küche führte. Eine junge Frau trat herein. Irma, meine Kusine. Ich erkannte sie sofort. Sie ist zehn Jahre jünger als ich, also noch in den Zwanzigern. Als ich sechzehn war und auf sie aufpassen mußte, war sie mir lästig gewesen.
Jetzt sah ich sie mit anderen Augen. Denn aus der kleinen Irma war eine bildschöne Frau geworden. Aschblond, sehr langhaarig, mit gebräuntem ruhigem Gesicht, dunklen Brauen, kühner Nase und vollem blaßrotem Mund. Sie war groß und schlank, trug ein buntes Kleid und eine kleine Servierschürze.
»Guten Tag.« Sie lächelte mich an, erkannte mich nicht. Aber ihr Blick war nachdenklich. »Was darf ich Ihnen bringen?«
»Guten Tag«, sagte ich. »Gibt es immer noch die gebackenen Forellen?«
»Natürlich.«
»Bitte, zwei und ein Glas Bier.« Ich grinste. »Wie geht es Tante Helen?«
»Gut.« Sie stutzte. »Wie…«
Ich stand auf. »Irma, erkennst du mich denn nicht?«
Jetzt fiel der Groschen. »Jerry!« Wie ein kleines Mädchen flog sie mir an die Brust. Sie umarmte mich. Ich erhielt einen Kuß auf die Wange. Dann trat sie einen Schritt zurück. Ihr Blick leuchtete. »Jerry… Nein, wie kommt denn das? So oft haben wir von dir gesprochen. Aber daß du uns doch mal besuchst…«
»Hauptsache, ihr freut euch.«
»Na, und wie…« Sie musterte mich. »Du bist ja ein toller Brocken geworden. Weißt du noch, damals war Fred größer als du-«
»Aber ich war stärker.«
»Allerdings. Wie geht es dir?«
»Danke. Man schlägt sich so durch.«
»Sag mal, du siehst aus, als hättest du die letzte Nacht im Wald geschlafen.«
»So ungefähr war es auch. Aber das ist nicht die Regel bei uns.« Ich nahm ihre Hand. »Und hier, Irma? Wie ist es hier?«
Für einen Moment verschattete sich ihr Gesicht. Aber sie nahm sich zusammen. »Danke. Das Geschäft läuft. Was will man mehr.«
»Du bist verheiratet?«
Lächelnd schüttelte sie den Kopf. »Der Richtige ist noch nicht gekommen.«
»Und Fred?«
»Er wohnt mit seiner Frau hier. Wirst sie nachher kennenlernen. Sie ist reizend.«
»Und Tante Helen ist gesund?«
»Trotz ihrer 76 Jahre unerschütterlich wie eine Eiche.«
»Wunderbar. Ich wollte ein paar Tage bei euch wohnen. Geht das?«
»Na klar. Wir haben nur zwei Hausgäste. Das
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