Jerry Cotton - 2916 - Das Marlin-Projekt
befördert.
Die Art und Weise, wie der Unbekannte die beiden Morde begangen hatte, zeugte zweifellos von professionellem Vorgehen. Phil und ich teilten Walts Einschätzung, dass der Täter wahrscheinlich über eine militärische oder paramilitärische Ausbildung verfügte. Denn ein gewöhnlicher Killer hätte auch die willenlose Frau einfach erschossen, während ein militärisch gedrillter Soldat den Genickbruch auf jeden Fall vorgezogen hätte: Der Genickbruch ist leiser und spart Munition.
Damit hatten wir einen ersten Anhaltspunkt.
Dafür wussten wir über das Beddingfield Institute noch immer ziemlich wenig – zu wenig, für meinen Geschmack.
Deshalb forderten wir alle Unterlagen an, die es bei offiziellen Stellen über dieses Institut gab. Die Informationen flossen relativ schnell, und so konnten wir uns bald ein halbwegs aussagekräftiges Bild machen.
Erst vor knapp sechs Jahren hatte Dr. Everett Shaw das Institut gegründet. Er hatte von Anfang an brav seine Steuern bezahlt und niemals Ärger mit irgendwelchen Behörden gehabt. Er hatte sogar ziemlich viel Steuern gezahlt, was dafür sprach, dass er gute Gewinne gemacht hatte.
Die Unterlagen, dir wir vorliegen hatten, gaben auch Aufschluss über die Mitarbeiterzahl. Bei der Gründung hatte es neben Dr. Everett Shaw nur eine Mitarbeiterin gegeben: eine Dr. Bellinda Shaw, die damalige Ehefrau des Gründers; inzwischen waren sie geschieden. Die Frau war nach zwei Jahren wieder ausgestiegen und nur wenige Tage nach ihrem Abschied ersetzt worden. Und zwar durch eine Dr. Cassia Haigh, die angeblich immer noch im Institut arbeitete, und durch Dr. Jenna Blacksmith, die vor gut anderthalb Jahren am Institut angefangen hatte und die, wie wir ja wussten, jetzt tot war. Insofern schien es uns dringend geboten, mit Dr. Haigh und Dr. Bellinda Shaw Kontakt aufzunehmen.
***
»Sieh dir das mal an!«, wunderte sich Phil, als wir uns Dr. Bellinda Shaws Adresse näherten. »Ich glaube, sie steht nicht vor der Pleite.«
»Ihre Kundschaft auch nicht«, versetzte ich. Die Zufahrt zu dem alten Anwesen war auf beiden Seiten nicht nur von alten Pappeln, sondern auch von hochpreisigen Luxuswagen gesäumt.
»Irgendetwas Grundlegendes machen wir falsch, Partner«, meinte Phil.
Ich konnte ihm nur zustimmen, denn in diesem Moment tauchte das Haus in unserem Blickfeld auf, das Dr. Shaw gehörte. Es war eine Villa der größeren Sorte. Ich war zwar kein Fachmann, aber ich schätzte die Preisklasse auf gut zehn Millionen Dollar. Wenn man mit Yoga-Kursen so viel Geld verdienen konnte, dass man sich ein derart riesiges und teures Haus leisten konnte – wieso hielten wir dann tagtäglich unsere Knochen hin für ein vergleichsweise bescheidenes Salär?
Ich wischte den Gedanken beiseite und konzentrierte mich wieder auf meinen Job.
Wer Dr. Shaw besuchen wollte, der musste ein bisschen Aufwand in Kauf nehmen. Nach allem, was über sie offiziell bekannt war, hatte ihre Biografie einen ziemlich krassen Bruch erlitten. Zunächst war sie schon als Schülerin mit Hochbegabten-Stipendien nur so überschüttet worden, und später hatte sie in Rekordzeit ihr Studium mit Bestnoten absolviert. Gleich danach hatte sie für verschiedene Regierungsstellen und insbesondere für die US Navy gearbeitet; im Rahmen ihrer Arbeit für das Beddingfield Marine Research Institute hatte sie verschiedene Auszeichnungen und Wissenschaftspreise gesammelt. Doch dann hatte sie ihr Leben radikal verändert.
Vor vier Jahren war das gewesen.
Sie verließ das Institut und ihren Mann und begab sich lieber auf einen Selbstfindungstrip, der sie mehr als ein Jahr lang nach Indien und wohl auch nach Pakistan führte. Und danach – vielleicht als Kontrastprogramm – nach Südamerika, in die peruanischen Anden. Danach schrieb sie einige Bücher über Yoga, Indien und eine Art Tantra-Leitfaden, mit dem sie ziemlich reich geworden war. So stand es in den Regierungsunterlagen, die uns zur Verfügung standen, und so stand es auch an vielen Stellen auf vielen Seiten im Internet.
Dass es überhaupt ein Dossier über sie gab, war nicht erstaunlich. Schließlich war sie früher einmal als Geheimnisträgerin eingestuft gewesen und hatte zumindest auf niedrigschwellig-geheime Unterlagen Zugriff gehabt. Interessanter war aus unserer Sicht, dass nicht zu erkennen war, welche Behörde dieses Dossier angelegt hatte.
All das war natürlich Grund genug für uns, uns die Lady mal aus der Nähe anzusehen.
Deshalb waren wir jetzt im
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