Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
auch Simons Briefe und ergreifende Habseligkeiten. Diese Flüchtlinge und Kämpfer, die dazu verurteilt waren, nie wieder heimzukehren, trugen als Trost die Schlüssel zu ihren verlassenen Häusern und ihre Wertsachen bei sich – eine Glasplatte, einen Spiegel in einem Lederetui, eine hölzerne Schmuckschatulle, eine Weihrauchschaufel. Sie gingen dort zugrunde, denn ihre Habe lag neben ihren Knochen. Ihre fragmentarischen Briefe sind knappe Signale der Katastrophe: »… bis zum Ende … sie haben keine Hoffnung … meine Brüder im Süden … von diesen sind verloren durch das Schwert …«
Die Römer rückten gegen bar Kochbas letzte Festung vor: Betar, 6 Kilometer südlich von Jerusalem. Simon selbst starb in der letzten Stellung in Betar, der jüdischen Legende nach mit einer Schlange um den Hals. »Bringt mir seinen Körper«, verlangte Hadrian und war beeindruckt von dem Kopf und der Schlange. »Wenn sein Gott ihn nicht erschlagen hat, wer könnte ihn überwältigt haben?« Wahrscheinlich war Hadrian bereits nach Rom zurückgekehrt, aber dennoch übte er eine nahezu völkermörderische Rache.
»Nur wenige kamen davon«, schrieb Cassius Dio. »Fünfzig ihrer festesten Plätze, neunhundert und fünfundachtzig ihrer bedeutendsten Ortschaften wurden zerstört. Fünf mal hundert und achtzigtausend kamen in den Ausfällen und Schlachten um; die große Zahl der durch Hunger und Seuchen Umgekommenen läßt sich nicht genau angeben.« Fünfundsiebzig jüdische Siedlungen verschwanden spurlos. So viele Juden wurden versklavt, dass sie auf dem Sklavenmarkt in Hebron weniger einbrachten als ein Pferd. Auch weiterhin lebten Juden im Land, aber Judäa erholte sich nie von Hadrians Verwüstungen. Der Kaiser setzte nicht nur das Beschneidungsverbot durch, sondern verbot den Juden auch unter Androhung der Todesstrafe, sich Aelia Capitolina zu nähern. Jerusalem war verschwunden. Hadrian tilgte Judäa von der Landkarte und benannte es bewusst um in Palästina, nach den uralten Feinden der Juden, den Philistern.
Per Akklamation wurde Hadrian zum Imperator ernannt, aber dieses Mal gab es keinen Triumphzug: Der Kaiser war durch seine Verluste in Judäa angeschlagen und erschöpft. Als er dem Senat Bericht erstattete, konnte er nicht die übliche Beteuerung abgeben: »Ich befinde mich wohl mit dem Heere.« Er litt an Arteriosklerose (an den gespaltenen Ohrläppchen seiner Statuen kenntlich gemacht), war von Wassersucht angeschwollen und tötete jeden seiner möglichen Nachfolger, selbst seinen neunzigjährigen Schwager, der ihn verfluchte: »daß er zu sterben wünsche, aber nicht sterben könne«. Der Fluch wurde wahr: Da Hadrian nicht sterben konnte, versuchte er, sich das Leben zu nehmen. Kein autokratischer Herrscher schrieb je so scharfsinnig und wehmütig über den Tod wie Hadrian:
Kleine Seele, kleine Wanderin, kleine Zauberin,
Gast und Gefährtin des Körpers,
Wohin wirst Du jetzt reisen? Zu Orten,
Die dunkel, kalt und düster sind,
Und Du wirst nicht wie gewohnt Scherze machen.
Als er schließlich – »von allen gehasst« – starb, verweigerte der Senat ihm die Vergöttlichung. In der jüdischen Literatur wird er nie ohne den Zusatz erwähnt: »Mögen seine Gebeine in der Hölle verrotten!«
Sein Nachfolger, Antoninus Pius, nahm die Verfolgung der Juden etwas zurück und erlaubte die Beschneidung wieder, stellte aber seine Statue neben der Hadrians auf dem Tempelberg auf, um zu unterstreichen, dass der Tempel nie wieder aufgebaut werde. [82] Die Christen, die nun eine vollständige Trennung von den Juden vollzogen hatten, konnten nicht umhin, zu jubeln. Der Christ Justin schrieb an Antoninus: »Das Haus der Heiligkeit ist zu einem Fluch geworden, und die Herrlichkeit, die unsere Väter segneten, ist mit Feuer verbrannt.« Zum Leidwesen der Juden sprach die festgelegte Politik des Römischen Reiches für den Rest dieses Jahrhunderts gegen jedes Abgehen von Hadrians Politik.
Aelia Capitolina war eine unbedeutende, unbefestigte römische Kolonie mit 10 000 Einwohnern, erstreckte sich nur noch über zwei Fünftel ihres früheren Areals, nämlich vom heutigen Damaskustor bis zum Kettentor, verfügte über zwei Foren, den Jupitertempel auf dem Berg Golgatha, zwei Thermalbäder, ein Theater, ein Nymphäum (Wasserbecken mit Nymphenstatuen) und ein Amphitheater, alle mit Kolonnaden, Tetrapylonen und Statuen ausgestattet, unter denen sich auch ein äußerst unkoscherer großer Eber der Zehnten Legion befand. Nach und nach
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