Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Christentum favorisierte, auch wenn er wie viele brutal selbstbewusste Männer seine Mutter Helena anbetete, die schon früh konvertiert war. Seine persönliche Bekehrung war zwar ebenso dramatisch wie die des Paulus auf dem Weg nach Damaskus, aber politisch ging er nur langsam zum Christentum über. Vor allem hatte Christus ihm zum Sieg in der Schlacht verholfen, und das war eine Sprache, die Konstantin verstand: Christus, das Lamm Gottes, wurde zum Siegesgott. Nicht dass Konstantin selbst etwas von einem Lamm gehabt hätte: Schon bald präsentierte er sich als den Aposteln ebenbürtig. Dass er sich als Feldherr mit göttlichem Schutz darstellte war nichts Ungewöhnliches. Römische Kaiser identifizierten sich wie griechische Könige immer mit Schutzgöttern. Konstantins Vater verehrte die unbesiegte Sonne, was einen Schritt zum Monotheismus bedeutete. Dass Konstantins Wahl auf Christus fiel, war jedoch keineswegs zwangsläufig, sondern geschah allein aus einer persönlichen Laune heraus. Manichäismus und Mithraismus waren 312 nicht weniger populär als das Christentum. Ebenso gut hätte Konstantin sich für eine dieser beiden Religionen entscheiden können – dann wäre Europa heute vielleicht mithraistisch oder manichäisch. [85]
Konstantin und der Kaiser des Ostreichs, Licinius, gewährten den Christen im Mailänder Edikt 313 Duldung ihres Glaubens und Privilegien. Erst 334 besiegte Konstantin im Alter von 51 Jahren Licinius und vereinte das Römische Reich. Er versuchte, in seinem gesamten Territorium christliche Sitten durchzusetzen, und verbot heidnische Opfer, sakrale Prostitution, religiöse Orgien und Gladiatorenkämpfe, die er durch Wagenrennen ersetzte. Im selben Jahr verlegte er seine Hauptstadt nach Osten und gründete sein neues Rom in der griechischen Stadt Byzantion am Bosporus, dem Tor zwischen Europa und Asien. Schon bald wurde sie Konstantinopel genannt und hatte einen eigenen Patriarchen, der mit dem Bischof von Rom und den Patriarchen von Alexandria und Antiochia zu den herrschenden Oberhäuptern der Christenheit zählte. Der neue Glauben passte zu Konstantins neuartigem Stil der Königsherrschaft. Die Christen hatten seit den Anfängen unter Jakobus, dem Leiter der Jerusalemer Gemeinde, eine Hierarchie aus Ältesten (Presbytern) und Vorstehern/Bischöfen (episkopoi) entwickelt, die für regionale Diözesen zuständig waren. Konstantin begriff, dass die Hierarchie der Christenheit der Organisation des Römischen Reiches entsprach: Es würde einen Kaiser geben, einen Staat, eine Religion.
Kaum hatte er seine Oberhoheit mit seiner Staatsreligion verknüpft, als er feststellen musste, dass die Christen gespalten waren: Die Evangelien machten nur vage Aussagen über das Wesen Jesu und sein Verhältnis zu Gott. War Jesus ein Mensch mit einigen göttlichen Merkmalen oder ein Gott in Menschengestalt? Nachdem nun die Kirche etabliert war, erlangte die Christologie vorrangige Bedeutung und wurde überlebenswichtig, denn die richtige Definition Christi sollte darüber entscheiden, ob ein Mensch Erlösung erlangte und in den Himmel käme. An Leidenschaft und Intensität sind diese Debatten am ehesten mit denen über atomare Abrüstung oder Erderwärmung in unserer säkularen Zeit vergleichbar. Das Christentum entwickelte sich zu einer Massenreligion in einem Zeitalter fanatischen Glaubens, und diese Fragen wurden auf der Straße ebenso diskutiert wie in den Palästen des Reiches. Arius, ein Priester aus Alexandria, der mit eingängigen Schlagworten zu großen Menschenmengen predigte, vertrat, Jesus sei Gott untergeordnet und daher mehr Mensch als Gott, was viele empörte, die in Christus mehr einen Gott als einen Menschen sahen. Als der örtliche Statthalter versuchte, Arius zu unterdrücken, kam es in Alexandria zu einem Aufstand seiner Anhänger.
Verärgert und verwirrt über diesen Wirbel um die richtige Lehre berief Konstantin 325 die Bischöfe zu einem Konzil nach Nicäa und versuchte, ihnen seine Lösung aufzuzwingen: Jesus sei göttlich und menschlich, »eins« mit dem Vater. In Nicäa (der heutigen Stadt Isnik in der Türkei) machte Macarius, der Bischof von Aelia Capitolina (ehemals Jerusalem) Konstantin auf das Schicksal seiner kleinen, vernachlässigten Stadt aufmerksam. Der Kaiser kannte Aelia, weil er es vermutlich als Achtjähriger im Gefolge Kaiser Diokletians besucht hatte. Da er nun darauf brannte, seinen Erfolg in Nicäa zu feiern und den heiligen Glanz seines Reiches sichtbar zu
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