Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Eitelkeit und Masochismus miteinander.
In Kairo nahm McMahon den jungen Offizier in seine Dienste, der zum »Spiritus Rector bei den zu einem Aufstand der Araber führenden Verhandlungen« wurde. Während Lawrence seine Berichte schrieb, musste er oft an »Saladin und Abu Ubaida« denken, teilte aber die Ansicht vieler britischer Orientkenner, in deren Augen die Beduinen im Gegensatz zu den arabischen Bewohnern Palästinas von edler und reiner Gesinnung waren. Während er Damaskus, Aleppo, Homs und Hama als Kernland Syriens betrachtete, war Jerusalem für ihn nicht wirklich arabisch – eine »verwahrloste Stadt«, deren Bewohner, wie er schrieb, »charakterlos wie Hotelbedienstete, die von der Masse der Durchgangsreisenden leben. Die Probleme der Araber und ihrer nationalen Zugehörigkeit berühren sie ebenso wenig wie die Doppelwährung die Lebenshaltung in Texas.« Städte wie Jerusalem und Beirut seien angestaubt – so charakteristisch für Syrien wie Soho für die ländliche Umgebung Londons.
Am 24. Oktober 1915 schickte McMahon eine Antwort an Hussein, die er absichtlich so vage formulierte, dass sie von beiden Seiten unterschiedlich interpretiert werden konnte. Er stimmte einem arabischen Reich östlich der von Lawrence genannten Städte zu, schloss aber den schwer zu umgrenzenden Raum im Westen aus. Palästina und Jerusalem erwähnte er mit keinem Wort. Da nicht anzunehmen war, dass sich der Scherif auf die Ausgrenzung Jerusalems einlassen würde, die Briten dort aber ihre eigenen Pläne hatten, umging er das Problem, indem er die Stadt in seiner Antwort nicht erwähnte. Abgesehen davon bestand McMahon darauf, die französischen Interessen zu wahren – und Frankreich hatte ebenfalls weit zurückreichende Ansprüche auf Jerusalem. Tatsächlich plante der Hochkommissar, Jerusalem nominell der albanischen Dynastie in Ägypten zuzuschlagen, so dass die Heilige Stadt muslimisch sein, aber de facto unter britischer Herrschaft stehen würde.
Für Großbritannien musste der arabische Aufstand umgehend stattfinden, darum wurden die dafür notwendigen Zusagen so vage wie möglich formuliert. Offensichtlich waren McMahons Formulierungen jedoch nicht vage genug, denn sie weckten in den Arabern höhere Erwartungen, und das unmittelbar vor Beginn der Verhandlungen, in denen Großbritannien und Frankreich über die tatsächlich geplante Aufteilung des Osmanischen Reiches entscheiden sollten.
Der britische Verhandlungsführer war Mark Sykes, Parlamentsabgeordneter und Baronet aus Yorkshire, ein Mann mit überbordender Phantasie und schriftstellerischem Talent, der den Nahen Osten bereist und sich dadurch den Ruf eines überragenden Orientexperten erworben hatte – von Lawrence allerdings als »Ausbund an Vorurteilen, Ahnungen und Halbwissen« bezeichnet wurde. Seine eigentliche Begabung war ein überschwänglicher Ehrgeiz, der so überzeugend war, dass seine Vorgesetzten ihm gern erlaubten, sich in jedes politische Nahostproblem einzumischen, das ihm beliebte. Sykes und sein französischer Verhandlungspartner François Georges-Picot, der Konsul in Beirut gewesen war, einigten sich darauf, dass Frankreich Syrien und den Libanon, Großbritannien den Irak und einen Teil Palästinas erhalten sollte. Es sollte eine arabische Konföderation unter britischem und französischem Schutz geben – und Jerusalem sollte unter internationale Verwaltung durch Frankreich, das Vereinigte Königreich und Russland gestellt werden. [233] Für die drei Großmächte, die sich seit mindestens 70 Jahren um die beherrschende Stellung in Jerusalem stritten, war dies eine sinnvolle Entscheidung – und schließlich war auch so etwas wie ein arabischer Staat vorgesehen. Doch die Pläne erwiesen sich bald als Makulatur, da Großbritannien insgeheim ein begehrliches Auge auf Jerusalem und Palästina geworfen hatte.
Am 5. Juni 1916 hisste Scherif Hussein, der nichts von dem geheimen Sykes-Picot-Abkommen ahnte, aber sehr wohl wusste, dass die Osmanen im Begriff waren, ihn abzusetzen, seine rote Flagge und blies zum arabischen Aufstand. Er erklärte sich zum »König aller Araber«, womit er die Briten vor den Kopf stieß, die ihn überredeten, sich mit dem etwas bescheideneren Titel eines »Königs des Hedschas« zu begnügen. Das war allerdings nur der Anfang: Selten in der Geschichte hat eine Dynastie in so kurzer Zeit so viele Kronen in so vielen Königreichen getragen. König Hussein übergab jedem seiner vier Söhne das Kommando über eine
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