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0085 - Der Feuergötze

0085 - Der Feuergötze

Titel: 0085 - Der Feuergötze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Wolf Sommer
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Der feige Herrscher kniete vor dem siegreichen General und erflehte die Gnade des Mannes aus dem verfluchten Land. Die edle Herrscherin aber und ihre beiden Kinder wollten die Gnade nicht. In ihren Herzen tobte der Zorn über den Schändlichen, der ihren Stolz verriet. Sie kehrten zurück ins Feuer und brachten sich selbst als Brandopfer dar.
    Vor der brennenden Stadt, eingelassen in den Fels des Bergs der Götter, stand der Doppeltempel des gestrengen Herrn Baal-Hammon und der hoheitsvollen Herrin Tanit. Auf der Plattform vor dem Götterpalast verharrten die Priester und geweihten Frauen in haßerfülltem Entsetzen. Mit brennenden Augen starrten sie ins Tal, in dem der Tod und das Chaos wüteten.
    »Das ist das Ende«, sagte Hanna, die älteste der geweihten Frauen, die schon seit einem Jahr als Jungfrau im Tempel verweilte. »Das Ende der Stadt, das Ende des Landes, das Ende des Volkes. Zu Schutt und Asche wird die Stadt zerfallen. Feuer und Salz werden das Land verdorren. Knechtschaft und Sklaverei werden das Los der letzten Überlebenden des Volkes sein.«
    Einer der Priester richtete sich aus seiner leicht gebeugten Haltung auf. Aufrecht und gerade wie ein ungebrochener Speer stand er da. Baalyaton, der Oberpriester dieses Tempels und der ganzen Stadt.
    »Wahr sprichst du, Jungfrau«, sagte er mit seiner Stimme, in der Trauer war, aber auch Trotz. »Stadt und Land werden in Asche und Unfruchtbarkeit versinken. Das Volk ist dem Untergang geweiht. Aber nicht alles stirbt. Unsere Götter leben! Und so lange sie leben, ist nicht alles verloren.«
    Seine Worte waren jedoch nicht imstande, einen Hoffnungsfunken in den Priestern und Jungfrauen zu entzünden. Die Götter hatten sie verlassen, hatten sie in die Hände des grausamen Feindes gegeben. Die Stadt war gefallen, die Tempel zerstört. Auch dieses Heiligtum auf dem Berg der Götter, die letzte Bastion der Freiheit, würde fallen.
    Schon sahen sie, wie eine lärmende, siegesgewisse Kriegerschar in eisernen Rüstungen aus der brennenden Stadt hervorbrach und den Weg zum Tempel einschlug. Ihre Schwerter glänzten mordlüstern im Schein der sengenden Flammen.
    »Seht«, sagte die Jungfrau Hanna und zeigte mit zitternder Hand auf die nahende Kohorte. »Dort kommt der schreckliche Tod auch für uns!«
    In Baalyatons nachtdunklen Augen brannte eine verzehrende Glut.
    »Es darf nicht sein!« sagte er rauh. »Der letzte Hort der Götter in der Byrsa muß bewahrt bleiben, damit das Reich der Götter aufs neue errichtet werden kann. Laßt uns den Beistand unseres Herrn und unserer Herrin erflehen, auf daß sie dieses Heiligtum und uns schützen. Laßt uns ein Opfer bringen, damit sie sich unserer in ihrer Güte erbarmen.«
    Die Gestalt der Jungfrau Hanna straffte sich. Sie war keine schöne Frau. Ihre Gesichtszüge waren unregelmäßig und hart, entbehrten der Lieblichkeit. Nicht rank und schlank war ihr Wuchs, sondern gedrungen und keine Freude für das Auge. Mehr als zwölf Monde hatte sie im Tempel gesessen, ohne daß ihr ein Mann geholfen hätte, ihre heiligen Pflichten gegenüber der Göttin zu erfüllen. Jetzt sah sie die Gelegenheit gekommen, die Schmach abzuwaschen.
    »Wohlan, Priester!« sagte sie mit fester Stimme. »Wenn du glaubst, das Wohlwollen der Götter erringen zu können, indem du ihnen ein Opfer bringst, ich bin bereit!«
    Mit flammenden Augen sah sie den Priester an. Dieser hielt ihrem Blick stand, nickte langsam.
    »Komm, Tochter«, sagte er und nahm ihren Arm.
    Baalyaton geleitete die Jungfrau in den Tempel. Die anderen Priester und geweihten Frauen folgten. Jetzt brannte doch ein kleines Hoffnungsflämmchen in ihren verzagten Herzen.
    Vor dem riesigen Götterbildnis ihres Herrn Baal-Hammon blieben sie stehen. Der mächtige Körper des Gottes, in pure Bronze gegossen, ragte ehrfurchtgebietend vor ihnen auf. Unter seinen ausgestreckten, schaufelähnlichen Händen loderte das ewige Feuer und tauchte seine Gestalt in goldenen Glanz.
    Mehrere kleine Stufen führten zu den Händen des Herrn.
    »Komm, Tochter«, sagte Baalyaton wieder und geleitete Hanna die Stufen empor. Opferbereit, mit einem glücklichen Ausdruck in den Augen, ging die Jungfrau mit ihm.
    Der Oberpriester blieb stehen, gab ihr den Weg frei. Sie ging an ihm vorbei, verließ die oberste Stufe und setzte ihre Füße auf die zur Mulde geformten mächtigen Hände des Gottes. Dann kauerte sie nieder und überließ ihr weiteres Schicksal dem großen Herrn, in dessen Hand sie sich begeben

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