Jesus von Nazareth - Band II
schreiben, habe ich nicht versucht. Im deutschen Sprachraum verfügen wir über eine Reihe bedeutender Christologien, von Wolfhart Pannenberg über Walter Kasper zu Christoph Schönborn, denen nun das große Opus
Jesus ist Gott der Sohn
(2008) von Karl-Heinz Menke an die Seite zu stellen ist.
Schon näher an meiner Absicht liegt der Vergleich mit dem theologischen Traktat über die Geheimnisse des Lebens Jesu, dem Thomas von Aquin in seiner
Summe der Theologie
klassische Gestalt gegeben hat (
S. theol
. III q. 27 – 59). Wenn sich mein Buch auch in vielem mit diesemTraktat berührt, so steht es doch in einem anderen geistesgeschichtlichen Kontext und hat von da aus auch eine andere innere Zielrichtung, die die Struktur des Textes wesentlich bestimmt.
Im Vorwort zum ersten Teil hatte ich gesagt, dass es mir darum gehe, „Gestalt und Botschaft Jesu“ darzustellen. Vielleicht wäre es gut gewesen, diese beiden Wörter – Gestalt und Botschaft – dem Buch als Untertitel beizugeben, um seine wesentliche Absicht zu klären. Ein wenig übertreibend könnte man sagen, ich wollte den realen Jesus finden, von dem aus so etwas wie eine „Christologie von unten“ überhaupt möglich wird. Der „historische Jesus“, wie er im Hauptstrom der kritischen Exegese aufgrund ihrer hermeneutischen Voraussetzungen erscheint, ist inhaltlich zu dürftig, als dass von ihm große geschichtliche Wirkungen hätten ausgehen können; er ist zu sehr in der Vergangenheit eingehaust, als dass persönliche Beziehung zu ihm möglich wäre. In der Verbindung der zwei Hermeneutiken, von der ich oben gesprochen habe, habe ich versucht, ein Hinschauen und Hinhören auf den Jesus der Evangelien zu entwickeln, das zur Begegnung werden kann und sich im Mithören mit den Jüngern Jesu aller Zeiten doch gerade der wirklich historischen Gestalt vergewissert.
Diese Aufgabe war im zweiten Teil noch schwieriger als im ersten, weil erst hier die entscheidenden Worte und Ereignisse des Lebens Jesu begegnen. Ich habe versucht, mich aus dem Streit um viele mögliche Einzelelemente herauszuhalten und nur die wesentlichen Worte und Taten Jesu zu bedenken – von der Hermeneutik des Glaubens geführt, aber zugleich in der Verantwortung vor der historischen Vernunft, die in diesem Glauben selbst notwendig enthalten ist.
Auch wenn natürlich Details immer zu diskutieren bleiben, so hoffe ich doch, dass mir eine Annäherung an die Gestalt unseres Herrn geschenkt worden ist, die allen Leserinnen und Lesern hilfreich sein kann, die Jesus begegnen und ihm glauben wollen.
Von der damit erläuterten Grundabsicht des Buches her, die Gestalt Jesu, sein Wort und sein Tun zu verstehen, ist klar, dass die Kindheitsgeschichten nicht direkt zur eigentlichen Intention dieses Buches gehören konnten. Ich will aber versuchen, meinem Versprechen (vgl. Teil I, S. 23) treu zu bleiben und einen kleinen Faszikel darüber vorzulegen, wenn mir dazu noch die Kraft gegeben wird.
Rom, am Fest des heiligen Markus
25. April 2010
Joseph Ratzinger – Benedikt XVI.
1. KAPITEL
EINZUG IN
JERUSALEM
UND
TEMPELREINIGUNG
DER EINZUG IN JERUSALEM
D as Johannes-Evangelium berichtet von drei Pascha-Festen, die Jesus in der Zeit seines öffentlichen Wirkens begangen hat: ein erstes Pascha, mit dem die Tempelreinigung verbunden war (2,13 – 25); das Pascha der Brotvermehrung (6,4) und endlich das Pascha von Tod und Auferstehung (z. B. 12,1; 13,1), das zu „seinem“ großen Pascha wurde, auf dem die christliche Osterfeier, das Pascha der Christen, gründet. Die Synoptiker haben nur
ein
Pascha-Fest – das von Kreuz und Auferstehung – überliefert; der Weg Jesu erscheint bei Lukas geradezu als ein einziges pilgerndes Hinaufsteigen von Galiläa nach Jerusalem.
Es ist ein „Aufsteigen“ zunächst im geographischen Sinn: Der See Genezareth liegt etwa 200 Meter unter dem Meeresspiegel, Jerusalem durchschnittlich 760 Meter darüber. Jeder der Synoptiker hat uns als Stufen dieses Aufstiegs drei Leidensweissagungen Jesu überliefert und damit zugleich den inneren Aufstieg angedeutet, der sich in dem äußeren Weg vollzieht: das Hinaufgehen zum Tempel als dem Ort, an dem Gott „seinen Namen wohnen“ lassen wollte, wie das Buch Deuteronomium den Tempel beschreibt (12,11; 14,23).
Letztes Ziel dieses „Aufstiegs“ Jesu ist seine Hingabe am Kreuz, die die alten Opfer ablöst; es ist der Aufstieg, den der Hebräer-Brief schildert als
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