Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch
in all der Zeit, war der Andrang gewaltig. Über zwei Millionen Menschen wollten sehen und spüren, was es mit diesem Stück Stoff auf sich hat. Sie kamen als gläubige Pilger, als Zweifelnde, als Neugierige, um zu erleben, welche Gefühle das geheimnisvolle Abbild in ihnen auslöst. Dass es sich beim Turiner Grabtuch wahrscheinlich um eine Fälschung handelt, schmälerte nicht seine ungeheure Anziehungskraft.
Denn auch wenn in Turin nur ein mittelalterliches Artefakt zu sehen war, bleibt eine faszinierende Wahrheit, die für Christen genauso gilt wie für Andersgläubige oder Atheisten: Es gab ihn wirklich, den historischen Jesus aus dem Dorf Nazareth, einen Handwerkersohn, der die Welt veränderte.
Man muss also kein frommer Mensch sein, um das, was vor 2000 Jahren passiert ist, außerordentlich interessant zu finden. Das damalige Geschehen lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen: In Galiläa und Judäa lebte ein Mann, der als Wanderprediger einen Kreis von Anhängern um sich scharte und einiges Aufsehen erregte. Mit Anfang 30 starb er in Jerusalem am Kreuz. Die vielen Geschichten, die man von ihm kannte, wurden wieder und wieder erzählt und in unterschiedlichen Versionen aufgeschrieben. Aus einer kleinen Glaubensgemeinschaft entstand eine mächtige Weltreligion.
Wie es dazu kommen konnte, auch davon handelt dieses Buch, in dessen Mittelpunkt Jesus von Nazareth steht. Warum spalteten sich seine Anhänger schon früh vom Judentum ab? Wie konnte sich der neue Glaube im Römischen Reich über große Entfernungen weiterverbreiten? Wer waren die Männer und Frauen, die mit ihrer Begeisterung und ihrem Bekennermut zu den ersten Botschaftern dieser Religion wurden?
Die schriftliche Überlieferung, wie sie zum Beispiel im Neuen Testament, aber auch in einigen nichtchristlichen Quellen vorliegt, bietet den größten Fundus bei der Suche nach der historischen Wirklichkeit. Die kritische Lektüre der alten Texte ermöglicht erstaunlich tiefe Einblicke in die damalige Welt – auch wenn manches in diesem Bild unscharf oder dunkel bleibt.
Erhellend sind außerdem die archäologischen Funde. In Jerusalem, am See Genezareth oder in den alten Städten am Mittelmeer sind zahlreiche Überreste aus biblischer Zeit ausgegraben worden, und die Wissenschaftler arbeiten weiter, suchen und prüfen. Ihre Zwischenbilanz nach jahrzehntelanger, gründlicher Forschung fällt allerdings gemischt aus: Ja, die Archäologen haben eine recht gute Vorstellung vom Leben in Palästina zu Beginn unserer Zeitrechnung. Aber handfeste Zeugnisse, die sich eindeutig Jesus oder seinen frühen Gefolgsleuten zuordnen lassen, gibt es nicht.
Mag sein, dass sie eines Tages entdeckt werden. Alle sensationell klingenden Meldungen über authentische Fundstücke haben sich aber bisher als Übertreibungen herausgestellt. Schlagzeilen hat zuletzt etwa die Behauptung gemacht, unter einem Haus in Jerusalem sei die Grabstelle einiger Jesusjünger, vielleicht sogar die letzte Ruhestätte von Jesus selbst aufgespürt worden – von »revolutionären Folgen« für das Verständnis des frühen Christentums war sogleich die Rede. Für Aufsehen sorgte jüngst auch ein neu aufgetauchter Papyrusschnipsel aus dem 4. Jahrhundert. Die koptischen Worte darauf beflügelten die alte Spekulation, Jesus sei mit seiner Jüngerin Maria Magdalena liiert gewesen. An ähnlichen Meldungen dürfte es auch in Zukunft nicht fehlen. Wer aber eine Vorstellung davon hat, was historisch-kritische Forschung bedeutet, wird zu einem eigenen Urteil gelangen. Die Analysen, Essays und Reportagen in diesem Band können dabei helfen.
Zu den renommierten Experten, die ausführlich zu Wort kommen, zählt etwa die Theologin Sabine Bieberstein, die an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt unterrichtet. In ihrem Beitrag über die Jüngerinnen des Nazareners zeichnet sie nach, welche bedeutsame – und lange Zeit unterschätzte – Rolle die Frauen um Jesus in der frühchristlichen Gemeinde spielten. Sie hatten Leitungsämter inne und traten als Prophetinnen auf.
Christoph Türcke, evangelischer Theologe und Philosophieprofessor in Leipzig, beleuchtet das besondere Verhältnis Jesu zu Johannes dem Täufer. Zwischen dem populären Prediger, der möglicherweise in Verbindung zur Gemeinde von Qumran stand, und seinem Täufling sei es zu einem Bruch gekommen, hebt Türcke hervor. Der Schatten des Johannes habe Jesus bis an sein Lebensende verfolgt.
Wie sich Jesus selbst sah und was er für
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