Jesuslatschen - Größe 42
Schattenstöcke. Sie haben gerade die richtige
Wanderstocklänge, leider sind diese aber nur die Schatten von unbekannten
holzigen Gewächsen. Die Wegstrecke schont mich nicht. Dafür verwöhnt mich die
Natur.
Der Frühling hat in Merseburg längst nicht
diese Kraft. Wollte gestern zu Hause noch alles etwas zaghaft sprießen, so bin
ich heute im Frühling angekommen. Mir fallen Frühlingslieder ein und ich
beginne, so gut es textlich geht, laut zu singen. Verschiedene schwierige
Textpassagen werden dann gesummt, gepfiffen oder einfach ausgelassen. Wie
derzeit im Schulchor. Unser Musiklehrer, hätte sicher Freude an so einer
spontanen Sangeslust. Ab und an ziehe ich schon mal die Wanderschuhe aus und
muss erstaunt feststellen, dass die Blasen an den Füßen mit den Anforderungen
wachsen. Dazu später sicher mehr. Ein von mir ersehnter Augenblick wird Schritt
für Schritt mühsam erlaufene Wirklichkeit. Endlich stehe ich am Strand von La
Arena. Helligkeit, Weite und das Meer lassen mich Glück spüren. Ich meine ein
Zischen zu hören, als die Füße das erste Mal mit dem Meerwasser in Berührung
kommen. Mit den Wanderschuhen in der Hand, laufe ich barfuß immer entlang der
Wasserkante. Kaltes, klares Atlantikwasser umspült die Füße. Für den ersten
Moment eine Wohltat. An einer windgeschützten Stelle zieht es mich förmlich in
den hier gelbbraunen Sand. Ich strecke alle Viere von mir und glücke einfach so
vor mich hin.
Die Wegstrecke dürfte bis hierher schon über
dreißig Kilometer betragen haben. Nach einer ausgedehnten Pause im Strandsand,
versuchte ich es noch einmal mit laufen. Die Pause hat sicher ihr Gutes gehabt,
aber meine Beine sind müde. Direkt hinter dem Strand führt eine steile felsige
Treppe hinauf zum Cliff. Oben ist die Puste einfach raus, die obersten Stufen
sind auch das Letzte was ich heute erleben möchte.
In einer kleinen Nische am Auslauf der Treppe,
sitzt ganz entspannt ein junges Paar. Die beiden müssen schon eine Weile
beobachtet haben, wie ich mit gesenktem Kopf, schnaufend meinen Körper und den
Rucksack am Geländer hinaufgezogen habe.
Ihre Gesichter sind offen und fragend. Sie
bieten mir erst mal einen Platz auf der Bank an. Nachdem wir uns sprachlich
eingerichtet haben, kommt langsam eine Unterhaltung in Gang. Wir reden über das
Baskenland und über meine Heimat. Zwei Flugstunden entfernt ringe ich hier nach
Worten um Merseburg zu lokalisieren und verständlich zu beschreiben. Es gelingt
mir überraschenderweise anschaulich. Zwischendurch reichen die zwei mir Cracker
und Coca Cola. Ich nehme dankend an. Nach dieser willkommenen Verschnaufpause
geht jeder wieder seiner Wege. Sie, leichten Schrittes die Stufen hinab und
ich, etwas verhaltener weiter am Cliff entlang. Seit heute weiß ich, dass „Auf
Wiedersehen“ auf Baskisch „ Agur “ heißt.
Ist das, was ich jetzt sehe, der Lohn des
Tages? Unter mir, am felsigen Steilufer, das smaragdgrüne Meer, der weite
Horizont, sanfte Hügel voller Blumen, ein Blick zurück auf den Strand von La
Arena. Himmlisch, dieses Fleckchen Erde. Der Jauchzer Paul McCartneys in seinem
Titel „Mull Of Kintyre “ ist
an diesem schönen Ort ein Muss. Ich versuche genau diese Stelle so laut es geht
herauszuschreien. Es klingt aus meiner Kehle allerdings eher alpenländisch.
Aber frei!
Paul möge Paul verzeihen.
Das Schöne hier oben blendet den Schmerz aus.
Als dieser traumhafte Wegabschnitt zu Ende ist, wollen die Füße einfach nicht
mehr. Der Rucksack drückt massiv und die Schulter meldet sich auch noch. Als ob
sich der Körper nun in seinen Einzelteilen bemerkbar macht. Nun möchte auch ich
nicht mehr weiter. Einige Hausruinen im wild wuchernden Gestrüpp taste ich
suchend mit den Blicken ab. Keine erweist sich als vertrauenswürdig um darin zu
nächtigen. Nur schleppend geht es weiter durch eine Einöde bergan, das Meer
immer zur Rechten.
Ganze sechs Kilometer sind es noch bis zur
Herberge in Onton , dem ersten Ort in Kantabrien . Nach der Überwindung eines Tales, erreichte ich
entlang einer ansteigenden Landstraße in den kleinen Ort Onton .
Die ersehnte Herberge direkt neben der Kirche ist verschlossen. Den Schlüssel
soll man sich in der Bar „Pedro“ holen. Bloß, wo ist diese? In einer Kurve auf
einer Brücke steht ein alter Mann. Diesen sonderbaren Bewohner frage ich mit
Händen und Wortfetzen nach jener Bar. Er lächelt nur immer. Das ist mir dann
doch zu viel, ich bedanke mich trotzdem und schleiche weiter.
Weitere Kostenlose Bücher