Jesuslatschen - Größe 42
Ein
runtergekommenes Wirtshaus „ Caballo “ an der
Hauptstraße öffnet mir die Augen, dort gibt es sicher schon seit Jahren keinen
Schlüssel mehr. Die Eingangstreppe ist in der vergangenen Zeit mit Unkraut zugewuchert . Auf der anderen Straßenseite steht ein
einzelnes Haus. Das Gemäuer erzeugt in mir auch keinen vertrauenerweckenden
Eindruck. In den Nischen der farblosen Fenster stehen Blumentöpfe mit total
abgezehrten Geranien, diese bekommen nur Wasser, wenn es einmal regnet. Wer
weiß, vor wie vielen Jahren diese Gewächse liebevoll gepflanzt wurden. Nun
müssen sie regelrecht dahin vegetieren. Zurzeit fühle ich mich den vergessenen
Pflanzen sehr verbunden. Die haben wenigstens noch einen Blumentopf. Aber wo
soll ich hin? Etwa draußen schlafen? Die Vorstellung im Freien schlafen zu
müssen, verdunkelt sichtlich mein Gemüt.
Das Umfeld rings um die vermeintliche Herberge
scheint momentan vertrauenswürdig, ich befreie mich von der drückenden Last und
verstecke den Rucksack, mit all meinen Habseligkeiten, hinter dem Gebäude.
Irgendwer muss doch schließlich den Schlüssel verwahren. Gemächlichen Schrittes
laufe ich die lang gestreckte Hauptstraße hinauf. Die Häuser scheinen wie
ausgestorben. Gerade bewegt sich hinter einem Fenster eine Gardine, der
Unbekannte dahinter ist sein eigener Schatten. Ziemlich am Ende der Steigung
bellt ein Hund. Diese kleine Promenadenmischung ist die Schlüsselfigur des
Tages. Denn der Hund bewacht den Eingang zur Bar „Pedro“. Quasi der Einlasser . Ob das Tier auch Pedro heißt, entzieht sich
meiner Kenntnis. Die Bar „Pedro“ entpuppt sich als provinzielle
Kleinverkaufsstelle, oder wie wir Sachsen- Anhaltiner sagen würden, als Dorfkonsum. Dort gibt es einfach alles. Fleisch, Gemüse,
Gummistiefel, Schaufeln, Dorfschönheiten, Eimer, Streichhölzer, Töpfe,
Süßigkeiten, Toilettenpapier, einen Kamm, Butter, und sogar Spielzeug. Bis zur
hohen Ladendecke reichen die alten weiß gestrichenen Kaufmannsregale. Das
Sortiment, sehr sparsam gehalten, wird daher auf Lücke gestellt. Die
Dorfschönheiten in dem Falle natürlich ausgenommen.
Getränke werden an einem separaten Ladentisch
verkauft bzw. herübergereicht. Daher gewiss die Einstufung zur Bar. In dieser
rustikalen Konsumkulisse, trinke ich mit einem waschechten Ontoner ein Bier.
Nach einer Weile erscheint der ältere
lächelnde Mann, den ich vorhin ergebnislos nach der Pedro-Bar gefragt hatte.
Mein Gegenüber erklärt mir, dass der „Herr der Landstraße“ blind ist. Daher
also das unsichere Lächeln. Ganz nebenbei wird sogleich noch der Einkauf
erledigt. Nachdem ich den Schlüssel für die „dritte Tür neben der Kirche“ in
Empfang genommen habe, stake ich „ nussknackergleich “
mit steifen Knien hinab zur Herberge.
„Ich
bin auch mein Körper.“
Der Rucksack liegt noch unversehrt im
Versteck. Sicher hat er schon auf mich gewartet, denke ich. Braver Rucksack.
Als Herberge dient das verwaiste Bürgermeisterbüro im ebenso elternlosen Rathaus.
Ich bin getroffen, mir schläft fast das Gesicht ein als ich den Raum betrete.
Es gibt keinen Strom, kein Wasser, kein WC und kein Bett. Gottverlassen stehe
ich mit einem großen grünen Rucksack in einem großen kühlen Raum. Stuhlreihen
von wahllos abgestellten Kinostühlen, ein alter Schreibtisch und ein Horn alter
Computer sind das leidliche Inventar meiner ersten Pilgerunterkunft. Um hier
eine Schlafstätte zu errichten, ist viel Vorstellungsvermögen notwendig. Vier
dreier Klappsitzreihen so gegeneinander gestellt, dass die Sitze unten bleiben,
ist schon recht komfortabel. Noch einiges mehr an Erfindungsgeist fordert die
Verrichtung der Notdurft. Und vor allem ist Eile geboten. Aus einem alten
Geländer entsteht an der Felswand hinterm Haus ein funktionierender
Donnerbalken. Ganz ohne OBI-Hilfe.
Sichtlich erleichtert, setze ich die Arbeiten
an der Innenausstattung fort. Ein leerer Druckerkarton ersetzt auf dem
Bürgermeisterbalkon den Tisch und so esse ich im Abendrot endlich Abendbrot.
Eine anheimelnde Gemütlichkeit strömt allmählich in den Raum. Mit vollem Magen
und schwindendem Tageslicht sieht man die Dinge oft anders als man sie vorfand.
Meine Gedanken wandern unwillkürlich in die Zeit, als hier in diesem Raum noch
heftige Debatten und Reden geschwungen wurden. Heutzutage wird die Lokalpolitik
im Konsum gemacht. Über die Köpfe von Onton entscheidet man jetzt sicher in einer Gemeindeversammlung einige Kilometer
entfernt. Dort, wo kaum
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