Jetzt Plus Minus
Brüsten trug sie eine Art Amulett: eine Scheibe aus rotem Metall, in die geometrische Symbole eingraviert waren. Ich hatte sie nicht bemerkt, als sie angekleidet gewesen war.
»Mein Talisman«, erklärte sie. »Ich nehme ihn nie ab.« Und sie lief lachend zum Trampolin und sprang und schwebte und flog und tauchte elegant ins Wasser. Ich folgte ihr. Wir schwammen um die Wette von einem Winkel des Beckens zum anderen, prüften einander, suchten nach Grenzen und fanden sie nicht. Wir tauchten und trafen uns tief unten, faßten uns an den Händen und schwammen glücklich hinauf. Dann lagen wir unter den warmen Quarzlampen. Dann gingen wir in die Sauna. Dann zogen wir uns an.
Wir gingen zu ihrem Zimmer.
Sie behielt den Talisman sogar an, als wir uns liebten. Ich spürte das Amulett kalt an meiner Brust, als ich sie umarmte.
Aber das Geldverdienen? Die Verzinsung des Kapitals? Mein kleines Geheimnis, der Joker im Wall-Street-Blatt, die Mitteilungen von später, mit denen ich Millionen einstrich? Am Donnerstag war kein Kontakt mit meinen anderen Ichs vorgesehen, aber ich hätte ihn auch nicht herstellen können, wenn er fällig gewesen wäre. Es war völlig klar: Selene löschte mein Psi-Feld. Die kritische Entfernung betrug sieben Meter. Wenn wir weiter voneinander entfernt waren, konnte ich durchkommen, sonst nicht. Wie geschah das? Wie? Wie? Wie? Eine zufällige Unverträglichkeit psionischer Vibrationen? Eine tragische Löschung meiner Kräfte durch die Nähe zu ihrem großartigen Ich? Nein. Nein. Nein. Nein.
Am Donnerstag brausten wir wie ein Lauffeuer durch London, besuchten die Galerien, die Boutiquen, die Museen, die Schnüffler-Paläste, die Kneipen, die Glitzerhäuser. Noch nie war ich so verliebt gewesen. Für Stunden hintereinander vergaß ich mein Dilemma. Meine Trennung von mir selbst, die Scheidung, die im ersten Augenblick so niederschmetternd gewirkt hatte, erschien mir trivial. Wozu brauchte ich die anderen, wenn ich sie hatte?
Ich brauchte sie zum Geldverdienen. Das Geldverdienen war eine Krankheit, die durch die Liebe gemildert werden mochte – heilbar war sie nicht. Und wenn ich nicht bald die Verbindung aufnahm, drohten Kalamitäten.
Am späten Donnerstag nachmittag, als wir schwindlig aus einem Schnüffler-Palast wankten, mit prickelnden Nüstern, spürte ich wieder Kontakt. Jetzt plus n drang kurz durch, in einem Augenblick, als ich auf grünes Ampellicht wartete und Selene wild über die Straße gestürzt war.
»– das Amulett ist verantwortlich«, sagte er. »Das erfahre ich von –«
Selene hetzte wieder zu mir herüber.
»So komm doch, Dummchen! Warum hast du gewartet?«
Zwei Stunden später, als sie in meinen Armen lag, glitt meine Hand von ihrem samtigen Schenkel zu ihrer seidenweichen Brust, und ich erfaßte die rote Metallplakette mit zwei Fingern.
»Liebste, willst du das nicht abnehmen?« fragte ich unschuldig. »Ich mag nicht, daß kaltes, glattes Metall zwischen uns ist, wenn wir –«
In ihren schwarzen Augen flackerte Angst.
»Ich kann nicht, Aram! Ich kann nicht!«
»Für mich, Liebste?«
»Bitte. Laß mir meinen kleinen Aberglauben.« Ihre Lippen fanden die meinen. Geschickt wechselte sie das Thema. Ich wunderte mich über ihr Zittern, ihre angstvolle Weigerung.
Später schlenderten wir an der Themse entlang und sahen, wie der Freitag in der nebligen Dämmerung heraufkam. Heute würde ich ihr mindestens für eine Stunde entkommen müssen, das wußte ich. Die Gesetze der Zeit verlangten es. Denn am Mittwoch hatte ich zwischen 18 und 19 Uhr MEZ eine Übermittlung von meinem Ich im Jetzt plus n, das sich vom Freitag meldete, angenommen, und der Freitag war da, und ich war eben dieses Ich von Jetzt plus n, das zum richtigen Zeitpunkt sein Gegenstück von Jetzt minus n am Mittwoch verständigen mußte. Was geschehen würde, wenn ich mein Rendezvous mit der Zeit in der Zeit nicht einzuhalten vermochte, wußte ich nicht, wollte es auch nicht entdecken. Das Universum würde trotzdem weiterbestehen, vermutete ich, aber mein eigener Verstand – mein Griff um dieses Universum – vielleicht nicht.
Es war knapp. Den ganzen herrlichen Freitag mußte ich planen, wie ich mich während der Cocktailstunde von der strahlenden Selene trennen wollte, zu der sie auf jeden Fall mit mir würde Zusammensein wollen. Aber am Ende war es die Einfachheit selbst. Ich sagte zu Concierge: »Sieben Minuten nach sechs Uhr eine Nachricht für mich in die ›Astralkugel‹. Ich werde geschäftlich
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