Jetzt wirds ernst
nicht mehr zusammenfinden würden. Dass dieser Moment auf einer rissigen Betonfläche namens Busbahnhof einen Wendepunkt darstellte.
Der Fahrer klopfte gegen die Scheibe, und ich riss mich los. Ich packte meinen Koffer, stieg ein, kaufte eine Fahrkarte und setzte mich ganz nach hinten in die letzte Reihe. Mit einem
hydraulischen Zischen ging die Tür zu, der Fahrer stieg aufs Gas, und wir holperten davon. Ich hörte Max irgendetwas rufen, seine tiefe, raue Stimme, und drehte mich um. Er lief dem Bus
ein paar Meter hinterher, fuchtelte mit den Armen, winkte, blieb schließlich stehen, schrie noch einmal, lachte. Hinter ihm standen Lotte und Vater. Auch sie lachten und riefen etwas. Ich
presste Hände und Stirn gegen die Scheibe und starrte zu den drei kleiner werdenden Gestalten hinaus. Das Letzte, was ich sah, war Vaters zarte Friseurhand über seinem Kopf. Die kleine,
ungeschickte Winkbewegung und den Anzugsärmel, der ihm vom Handgelenk ein Stück über den Unterarm gerutscht war.
Erst nachdem wir die letzten Ausläufer der Stadt hinter uns gelassen hatten, drehte ich mich wieder nach vorne. Der Acker lag da wie ein unendlich weiter, in der Morgenkälte erstarrter
See. Ganz weit vorne konnte man die ersten Ausläufer der Hügellandschaft erahnen. Darüber ging die Sonne auf. Ein zittriger, vom blassgelben Morgendunst zart verschleierter Ball.
Einer der Pendler vor mir kippte mit dem Oberkörper zur Seite, klatschte mit der Wange an die Scheibe und begann zu schnarchen. Ich lehnte mich zurück, spürte das kühle Leder
im Rücken und die harten Sitzfedern unterm Hintern. In meiner Brusttasche raschelte es leise. Mit spitzen Fingern zog ich die zerschlissene Landkarte heraus und faltete sie auf meinen Knien
vorsichtig auseinander. Einige Städte waren mit rotem Filzstift eingekringelt und miteinander verbunden. Große und bekannte Städte, mit Theatern, die größer waren als
Einkaufszentren. Mit dem Zeigefinger folgte ich den dicken Filzstiftlinien kreuz und quer durchs ganze Land. Dann steckte ich die Karte wieder ein und schloss die Augen.
Ich stelle mir vor, wie sich aus dem Flimmern der Straße ein lindgrüner Autobus herauslöst, wie er schnell die letzten grauen Flecken der Stadt hinter sich
lässt und über den weiten Acker der Morgensonne entgegensaust. Unter den Reifen spritzen links und rechts die Kiesel weg, und auf dem Blech glänzt der Staub mattgolden in den ersten
Sonnenstrahlen. Hinter der Heckscheibe ist ein verschwommener, heller Fleck zu erkennen. Es ist der Kopf eines Jungen. Seine Augen sind geschlossen. Er lächelt.
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Autorenfoto: Achim Hehn
eBook ISBN 978-3-0369-9114-6
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Die Biene und der Kurt
Roman
288 Seiten (geb. Ausgabe)
eBook ISBN 978-3-0369-9179-5
Diese wunderbare, komisch-tragische Liebesgeschichte schildert die ungewöhnliche Begegnung zwischen der 16-jährigen, eigenwilligen, einem katholischen
Mädchenwohnheim entflohenen Biene und dem abgehalfterten Provinzbühnen-Rock-’n’-Roller und Schlagersänger Kurt »Heartbreakin’« Dvorcak.
»Eine wunderbar verschrobene Geschichte, die zur Abwechslung einmal schlauer ist, als sie tut.«
Der Tagesspiegel
Die weiteren
Aussichten
Roman
318 Seiten (geb. Ausgabe)
eBook ISBN 978-3-0369-9180-1
Inmitten der Provinzleere, führt Herbert Szevko gemeinsam mit seiner resoluten Mutter und dem Zierfisch Georg eine alte Tankstelle. Die Tage fließen öde
dahin, bis eine lebenshungrige junge Frau auftaucht. Sie heißt Hilde, spricht wenig, hat eine Stelle als Putzfrau im dörflichen Hallenbad und – bringt alles durcheinander.
»Ebenso tiefsinnig wie humorvoll – ein Roman zum Lachen und Weinen.«
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