Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer
kannst du es denn noch nicht?«
»Nein«, antwortete Jim. »Ich brauch’s ja auch nicht.«
»Aber du bist doch schon mindestens ein Jahr älter als ich!« meinte Li Si verwundert. Und dann fügte sie hinzu: »Wenn du willst, dann zeig’ ich dir, wie es geht.«
Jim schüttelte den Kopf.
»Ich find’, das sind ganz überflüssige Sachen, die bloß lästig sind und zu nichts nützen. Das Lernen hält einen nur von wichtigen Dingen ab. Ich bin bis jetzt ganz gut ohne Lesen und Schreiben ausgekommen.«
»Da hat er ganz recht!« rief der kleine Indianer.
»Nein«, sagte die kleine Prinzessin mit Nachdruck, »diese Sachen sind schon nützlich. Wenn ich zum Beispiel nicht schreiben gelernt hätte, dann hätte ich keine Flaschenpost abschicken können, und niemand hätte uns gerettet.«
»Die ganze Flaschenpost hätte dir aber nichts geholfen«, widersprach Jim, »wenn wir euch nicht herausgeholt hätten.«
»Jawohl!« rief der kleine Indianer.
»So?« antwortete die kleine Prinzessin ein wenig schnippisch, »dir hat eben Lukas der Lokomotivführer geholfen. Aber was wäre aus euch und aus uns geworden, wenn Lukas ebensowenig hätte lesen können wie du?«
Jim wußte nicht mehr, was er antworten sollte. Er spürte, daß Li Si vielleicht nicht ganz unrecht hatte, aber gerade deshalb ärgerte er sich. Wie kam die kleine Prinzessin dazu, ihm solche weisen Lehren zu geben? Immerhin hatte er sie vor kurzem erst unter Lebensgefahr befreit. Mut und Tapferkeit waren doch wohl etwas mehr wert als Gescheitheit. Jedenfalls hatte er nun einmal keine Lust zu lernen und damit basta!
Jim machte ein so finsteres Gesicht, daß Lukas ihm lachend auf die Schulter schlug und rief: »Jim, alter Junge, schau mal dort hin!«
Und er zeigte zum östlichen Horizont, auf den sie sich mit der Strömung des Flusses zubewegten. Dort ging eben mit unbeschreiblicher Pracht die Sonne auf, so daß alle Wellen glänzten wie pures Gold. Und kurz darauf sahen die Reisenden in der Ferne noch etwas anderes golden blinken und gleißen: Es waren die tausend Dächer von Fing.
Vierundzwanzigstes Kapitel
in dem Emma eine seltene Auszeichnung bekommt und die Reisenden ausgiebig und ganz verschieden frühstücken
Es dauerte nicht lang, da hatten Lukas und Jim mit Hilfe der Kinder die Lokomotive an Land gezogen. Auch der Drache kroch aufs Ufer und blieb vor Erschöpfung wie tot liegen. Es war ihm anzusehen, daß ihm vorderhand die Lust vergangen war, sich schlecht zu benehmen.
Etwa eine halbe Stunde später hatten Lukas und Jim Emma wieder landflott gemacht. Die kalfaterten Türen waren vom Pech befreit, der Kessel war wieder voll Wasser, und darunter prasselte ein lustiges Feuer.
Alle waren so eifrig bei der Arbeit, daß keiner von den Reisenden den mandalanischen Landgendarm bemerkte, der auf einem hochrädrigen Fahrrad in einiger Entfernung die Landstraße entlangkam. Als er die Gruppe der Reisenden bemerkte, hielt er an und überlegte, ob es sich vielleicht um irgendwelche gefährlichen ausländischen Truppen handeln könne. Nachdem er aber festgestellt hatte, daß es fast nur Kinder waren, ließ er diese Vermutung fallen und fuhr etwas näher heran. Als er jedoch um das letzte Gebüsch herum einbog, wäre er um ein Haar auf den Schwanz des Drachen gefahren. Zu Tode erschrocken riß er sein Rad herum und jagte davon, als ob hundert Teufel hinter ihm her wären. Mit heraushängender Zunge erreichte er die Hauptstadt und meldete seinem Vorgesetzten, was er gesehen hatte.
»Es wirdhöchchchste Zzzzzzeit, daßßßß du einmal den Errrrnst des Lebens kennenlerrrrnst.«
»Mann« rief der, »das ist die größte Glücksnachricht, die überhaupt möglich ist! Dafür wird Sie der Kaiser mindestens zum Generalgendarm ernennen, Sie Glückspilz!« »Wiewiewieso?« stotterte der Gendarm.
»Ja, wissen Sie denn wirklich nicht, was Sie da gesehen haben?« schrie der Vorgesetzte in höchster Aufregung. »Dafür gibt es doch nur eine Erklärung: Es sind die beiden ehrenwerten Lokomotivführer mit ihrer Lokomotive. Und wenn sie tatsächlich den Drachen mitgebracht haben, dann muß auch unsere Prinzessin Li Si bei ihnen sein. Wir müssen sofort dem Kaiser Meldung machen!«
Und die beiden Gendarmen rannten zum kaiserlichen Palast. Allerdings nicht ohne die Neuigkeit unterwegs durch alle Gassen zu schreien.
Es ist einfach nicht zu beschreiben, was für eine Aufregung in der Hauptstadt auf diese Nachricht hin entstand. Wie ein Lauffeuer flog die Botschaft von Mund
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