Heiße Nächte: Erotischer Roman (German Edition)
Niemand, der mir zufällig begegnet, ahnt, wer ich in Wirklichkeit bin. Man beschreibt mich als distanziert, sogar etwas kühl. Die Männer trauen sich kaum an mich heran. Die Frauen nehmen sich vor mir in Acht. Ich suche nicht den Blick anderer Menschen. Ich beobachte, aber ich lasse mich nicht beobachten. Zumindest versuche ich das. Ich kleide mich unauffällig. Meine Haare kann ich offen tragen oder hochstecken und so mein Aussehen verändern. Ich gehe schnell, sehr schnell.
Wie ich heiße, spielt keine Rolle. Wenn es vorkommt, dass mich jemand ausfragt, improvisiere ich. Ich bin A. A wie Andréa, Armance, Astrid. Es ist sinnlos, nach mir zu rufen: Ich drehe mich nicht um. Ich erinnere mich nicht, wann mich das letzte Mal jemand mit meinem richtigen Vornamen angesprochen hat. Ich bin niemand.
Mein Körper sollte mich noch weitere zwanzig, dreißig, schlimmstenfalls vielleicht sogar vierzig Jahre ertragen. Ich halte mich gerade. Ich leide weder unter Übergewicht noch unter schlechten Zähnen, auch nicht unter Gedächtnisschwund – nur mein Namensgedächtnis lässt mich hin und wieder im Stich – oder unter starren, extremen Vorstellungen, die nur dazu dienen, andere zu erniedrigen.
D. hat mich nie gefragt, wie ich auf die Idee gekommen bin, meine Dienste anzubieten. Nein, ich habe keine Privatklubs besucht und auch nicht Meistern oder Meisterinnen meines Fachs assistiert. Ich habe mich weder zur Schau gestellt noch angeboten. Genauso wenig habe ich mich dem Willen eines Mannes gebeugt, der meine Situation ausgenutzt hätte. Ich wollte nur etwas entdecken. Kein »Zuhause« haben. Keinen Ort, der mich hemmt oder einsperrt. Und von den einzigen Freuden leben, die wir zu vergeben haben. Kurzum, ich wollte mich nicht an ein Heim und einen Beruf binden. Eine flüchtige gleichgeschlechtliche Begegnung, bei der nicht die Möglichkeit eines weiteren Treffens besteht, kommt mir gelegen. Wer mich empfängt, ist meist darauf aus, eine Erfahrung zu machen. Ich frage mich nicht, ob sie die Episode mit anderen Frauen fortsetzen. Ob sie ihre Partner danach mit anderen Augen betrachten. Oder ob sich ihre Erwartungen verändert haben.
Ich verabscheue die Männer nicht. Sie haben mir nichts getan, was eine solche Zurückweisung rechtfertigen würde. Sie haben mich auch nicht enttäuscht. Nicht mehr als andere. Ich habe keinen Vater, der als Erklärung für was auch immer herhalten würde. Keine tief vergrabenen schrecklichen Bilder, um mich von einer Hälfte der Menschheit zurückzuziehen. Ich kenne ihren Körper. Aus Neugierde, eher zu Forschungszwecken, habe ich ihn in meinen aufgenommen. Ich habe sein schweres Gewicht auf meinen Hüften gespürt, auf meinen Brüsten, den Atem an meinem Hals. Mit abgewandtem Gesicht habe ich gelauscht. So kann ich mich besser konzentrieren. Ich habe die Luft angehalten. Mir bloß nichts anmerken lassen. Habe ihnen nicht in die Augen gesehen, denn das ist der Beginn der Kapitulation oder einer stillschweigenden Übereinkunft. Habe so getan, als nehme meine eigene Schamlosigkeit mit der fortschreitenden Verflüssigung ihrer Organe zu. Sie hatten aufgehört zu sprechen, als wenn die Gefühlsgewalt des Bauchs jedes Wort ausgelöscht hätte. Ich habe erlebt, wie ein Körper in zwei Teile zerfällt. Meine Augen waren offen. Ich wollte alles wissen, über ihre Gesten, ihren Geruch, ihren Willen, und vor allem, wie lange sie es durchhielten, mich aus der Realität zu entführen. Ich erwartete ihren Schrei, den Augenblick, in dem die Stimme so fremd klingt, ohne jegliche Kontrolle ist. Eine alte, eine schrecklich archaische Stimme. Das hat mich jedes Mal überrascht. Ich habe darauf gelauert, dass ihre Muskeln erschlafften. Ihr Gewicht noch schwerer auf mir lastete. Auf den Höhepunkt, die Leere, und anschließend, wenn sie wieder zu sich kamen, die Loslösung unseres Fleisches. Das Herstellen der Distanz. Ich wollte mehr. Ich wollte den Geschmack kennenlernen. Ich bin nach unten gerutscht. Ich habe das schlaffe Geschlechtsteil abgeleckt, die lauwarme zähflüssige Substanz, die an ihm klebt. Sie erinnerte mich an die feine Haut, die sich beim Kochen von Reis bildet. Ich glaube, wenn sie erst getrocknet und gehärtet ist, bildet sich ein Kokon, den man ganz vorsichtig abstreifen und als Skulptur aus einer milchigen Körperflüssigkeit in einer Vitrine ausstellen könnte. Ihr faszinierenden Türmchen, lasst mich euch in einer Reihe nebeneinander stellen. Wie man es von Menschen hört, deren Berufung
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