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Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer

Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer

Titel: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
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hauchte Jim:
    »Was können wir bloß dagegen unternehmen, Lukas? Das wird ja immer ärger!«
    Lukas raunte zurück: »Ich fürchte, da ist nichts zu machen. Wir können nur versuchen, so schnell wie möglich durch die Schlucht durchzufahren.«
    Wieder kam ein Echo vom oberen Ende des Tales zurück. Es war Jims Frage: »Was is’ das?« Aber diesmal waren es schon an die hunderttausend Jims, die schrien. Der Boden zitterte unter der Lokomotive, und Jim und Lukas mußten sich die Ohren zuhalten.
    Als das Echo wieder davongezogen war, griff Lukas rasch entschlossen in ein Fach neben den Hebeln und holte eine Kerze hervor, die von der Hitze des Dampfkessels ziemlich weich war. Schnell streifte er das Wachs vom Docht, formte zwei kleine Kugeln und gab sie Jim.
    »Hier«, sagte er, »tu das in die Ohren, damit dir das Trommelfell nicht platzt! Und vergiß nicht, den Mund aufzumachen!« Jim stopfte sich eilig das Wachs in die Ohren, und Lukas tat das gleiche. Dann erkundigte er sich durch Zeichen, ob Jim noch etwas hören könne. Beide lauschten, aber das dritte Echo, das mit Donnergetöse näherkam und wieder davonzog, vernahmen sie nur ganz leise.
    Lukas nickte befriedigt, zwinkerte Jim vergnügt zu, warf ein paar Schaufeln Kohle aufs Feuer, und dann rollten sie mit Volldampf hinein in die unheimliche Schlucht. Der Boden war glatt, und so sausten sie mit einer ganz schönen Geschwindigkeit vorwärts, allerdings auch mit entsprechendem Gepolter und Gezisch.
    Um verstehen zu können, was die beiden Freunde nun gleich erleben sollten, muß man wissen, was es mit diesem »Tal der Dämmerung« für eine Bewandtnis hatte. Die Felsenwände standen nämlich so, daß der Schall immer im Zickzack hin und her geworfen wurde und nicht aus dem engen Tal hinauskonnte. Wenn das Echo von einem Ende der Schlucht zum anderen gelangt war, konnte es nicht ins Freie entwischen, sondern es mußte umkehren. Es kam zu seinem Ausgangspunkt zurück, und hier mußte es wieder umkehren, und so ging es immerfort hin und her von einem Ende zum anderen. Jedes Echo erzeugte natürlich ein neues Echo, und das neue Echo wieder ein neues. Und so wurden es immer mehr und mehr Stimmen. Und je mehr Stimmen es wurden , desto lauter dröhnte es natürlich. Im allgemeinen hatte das bisher nicht allzu viel ausgemacht, aber jetzt erklang das Poltern einer Lokomotive in der Schlucht. Und das war eben doch etwas ganz anderes!
    Übrigens könnte sich jetzt die Frage erheben, warum es denn so still gewesen war, als Lukas und Jim die Schlucht betreten hatten.
    Eigentlich müßte doch der kleinste Schall, der jemals in das Tal hineingeraten war, noch immer darin herumirren. Ja, er müßte sich sogar ganz beträchtlich vervielfältigt haben.
    Nun, das wäre eine sehr scharfsinnige Frage, eine richtige Naturforscherfrage. Die Überlegung ist nämlich ganz richtig, und wenn die beiden Freunde zwei Tage früher in das Tal gekommen wären, dann hätten sie noch ein ungeheures Tosen vernommen. Dieser Lärm war aus ein paar Geräuschen entstanden, die ursprünglich einmal ganz leise gewesen waren, sich aber im Laufe der Zeit unheimlich verstärkt hatten. Zum Beispiel war das Miau einer kleinen Katze elfhunderttausendmal zu hören, das Ziwitt eines Spatzen eine Million mal und das Rieseln eines herabfallenden Steinchens siebenhundertmillionenmal. Man kann sich ungefähr vorstellen, wie das dröhnte.
    Aber wo war der Schall geblieben? Die Lösung dieses Rätsels liegt darin, daß es inzwischen -geregnet hatte! Jedesmal wenn es regnete, blieb nämlich an jedem Regentropfen sozusagen ein wenig Echo hängen und wurde weggespült. So wurde das »Tal der Dämmerung« immer wieder von Geräuschen gereinigt. Und da es gerade am Tage vor der Ankunft von Lukas, Jim und Emma sehr heftig geregnet hatte und inzwischen kein neues Geräusch in das Tal hineingeraten war, hatte vollkommene Stille geherrscht.
    Aber wenden wir uns nun wieder unseren beiden Freunden zu, die mit Volldampf durch die Schlucht dahinbrausten.
    Der Weg war länger, als Lukas geschätzt hatte. Als sie ungefähr die Mitte des Tales erreicht hatten, blickte Jim zufällig einmal zurück. Und was er da sah, war wahrhaftig dazu angetan, auch dem mutigsten Mann einen eiskalten Schrecken einzujagen!
    Wenn sie noch immer am Eingang der Schlucht gestanden hätten, dann wären sie jetzt schon unter einer unbeschreiblichen Last von Felsentrümmern begraben gewesen. Von beiden Seiten waren dort hinten die Bergwände

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