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Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer

Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer

Titel: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
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dem Trittbrett hervor. Darin lagen alle Sorten Schraubenschlüssel, Hämmer, Zangen, Schraubenzieher, Feilen und überhaupt alles, was man braucht, um kaputte Lokomotiven zu reparieren.
    Eine ganze Weile beklopfte Lukas vorsichtig und schweigend jedes Rad und jede Schraube an der alten Emma und horchte angestrengt. Jim sah mit schreckgeweiteten Augen zu und wagte nichts zu fragen. Lukas dachte so scharf nach, daß ihm sogar die Pfeife ausging. Das war kein gutes Zeichen. Endlich richtete er sich auf und knurrte:
    »Verflixt und zugenäht!«
    »Is’ es sehr schlimm?« fragte Jim.
    Lukas nickte langsam.
    »Ich vermute«, murmelte er düster, »daß der Taktierkolben gebrochen ist. Zum Glück habe ich ein Ersatzteil dabei.« Er wickelte aus einem Lederläppchen einen kleinen Stahlkolben, der nicht größer war als Jims Daumen.
    »Das ist er«, sagte er und hielt ihn zwischen den Fingern. »Klein, aber wichtig! Er gibt den Takt an, in dem Emma schnauft.«
    »Meinst du«, fragte Jim leise, »du kannst es in Ordnung bringen?«
    Lukas zuckte die Achseln und brummte sorgenvoll: »Wir müssen’s jedenfalls versuchen. Und wir dürfen keine Minute verlieren. Ich weiß nicht, ob Emma diese schwere Reparatur übersteht. Kann sein, kann aber auch nicht sein … Wir dürfen nicht den allerkleinsten Fehler machen, sonst … Du mußt mir helfen, Jim - allein schaffe ich es auf keinen Fall.«
    »In Ordnung«, antwortete Jim entschlossen. Er wußte, daß Lukas so etwas nicht zum Spaß sagte und stellte keine Fragen mehr. Lukas schien auch keine Lust zu haben, viel zu reden.
    Sie machten sich schweigend ans Werk.
    Inzwischen war es vollständig dunkel geworden, und Ji m mußte mit einer Taschenlampe leuchten. Stumm und verbissen kämpften die beiden Freunde um das Leben ihrer guten alten Emma. Stunde um Stunde verging. Der Taktierkolben hatte seinen Platz ganz innen, und so mußte die ganze Lokomotive langsam, Stück für Stück, auseinandergenommen und in ihre Teile zerlegt werden. Wahrhaftig, das war eine Arbeit, die starke Nerven erforderte.
    Mitternacht mußte längst vorüber sein. Der Mond war aufgegangen, blieb aber hinter einer Wolkenbank verborgen. Nur ein Ungewisses, kaum sichtbares Dämmerblau lag über der Wüste »Das Ende der Welt«.
    »Die Zange!« rief Lukas halblaut. Er arbeitete unter den Rädern der Lokomotive.
    Jim reichte sie ihm. Da hörte er plötzlich ein seltsames Sausen in den Lüften. Ein häßliches Krächzen folgte. Dann rauschte es noch einmal. Und dort drüben wieder, jetzt schon ganz nahe. Was mochte das sein?
    Jim versuchte, die Finsternis mit seinen Blicken zu durchdringen. Er erkannte undeutlich mehrere große schwarze Klumpen, die auf dem Boden hockten und mit glühenden Augen herüber starrten.
    Noch einmal war das Rauschen zu vernehmen. Ein riesengroßer, plumper Vogel ließ sich auf dem Dach des Führerhäuschens nieder und starrte mit grün glimmenden Augen auf den Jungen herunter.
    Jim mußte sich sehr zusammennehmen, um nicht vor Entsetzen aufzuschreien. Ohne den unheimlichen Riesenvogel aus dem Auge zu lassen, flüsterte er:
    »Lukas! He, Lukas!«
    »Was gibt’s?« fragte Lukas unter der Lokomotive.
    »Da sind auf einmal so große Vögel«, raunte Jim. »Eine ganz e Menge. Sie sitzen herum und scheinen irgendwas zu wollen.«
    »Wie sehen sie denn aus?« wollte Lukas wissen.
    »Ziemlich unfreundlich«, antwortete Jim. »Sie haben nackte Hälse und krumme Schnäbel und grüne Augen. Auf dem Dach sitzt auch schon einer und schaut mich immer an.«
    »Ach«, sagte Lukas, »das sind nur Geier.«
    »Aha!« meinte Jim ziemlich kläglich. Und nach einer Weile setzte er hinzu:
    »Ich möcht’ bloß gern wissen, ob Geier sehr angriffslustig sind oder nicht. Was meinst du?«
    »Solange man lebt«, erklärte Lukas, »tun sie einem nichts. Sie warten, bis man tot ist.«
    »So«, sagte Jim. Und nach ein paar Minuten fragte er: »Bist du auch ganz sicher?«
    »Sicher was?« erkundigte sich Lukas unter der Lokomotive. »Bist du ganz sicher«, wiederholte Jim, »daß sie auch bei kleinen schwarzen Jungen keine Ausnahme machen? Vielleicht fressen sie kleine schwarze Jungen lieber lebendig?«
    »Nein«, sagte Lukas, »du brauchst keine Angst zu haben. Man nennt die Geier die ›Totengräber der Wüste‹, weil sie sich nur über Totes hermachen.«
    »Ach so!« murmelte Jim. »Dann is’ es ja gut.«
    In Wirklichkeit war es aber gar nicht gut. Der Geier auf dem Dach hatte so einen appetithaften Zug um die

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