Jimmy, Jimmy
wollte. Dann haben wir uns Gründe ausgedacht, die sein Benehmen entschuldigten. Aber hinterher, während der einstündigen Autobahnfahrt von Dublin nach Hause, waren wir still. Wirstarrten einfach nur geradeaus und sprachen kaum ein Wort, egal wie gut oder schlecht der Besuch gelaufen war. Nur ein einziges Mal haben wir geweint, an dem Abend, an dem Mam mir von ihrer Fehlgeburt erzählte.
»Du hast wahrscheinlich gemerkt, dass mir morgens öfter übel war«, sagte sie.
Ich nickte, aber die Wahrheit ist, dass ich es nicht gemerkt hatte. Du bist fast vierzig, Mam , dachte ich. Warum um Himmels willen bist du noch mal schwanger geworden?
»Ich hatte das Gefühl, ich sollte mit dir darüber reden, Eala.«
Sie war im zweiten Monat gewesen, als die Sache mit der Fehlgeburt passierte. Eine Woche war das her. Es hatte während der Arbeit angefangen, und im Krankenhaus hatte man sie über Nacht dabehalten wollen, aber sie war nach Hause gefahren und hatte sich benommen wie immer. Auch während sie jetzt in der dunklen Höhle unseres Autos darüber sprach, fuhr sie ganz normal und ruhig weiter.
»Es wäre sowieso zu viel gewesen«, sagte sie. »Wenn Jimmy nach Hause kommt, werden wir alle Hände voll zu tun haben.«
Das Auto wurde in die Nacht gesogen, als könnten wir, auch wenn wir es wollten, nichts dagegen machen. Ich wusste, dass ich später wach liegen würde, und wie jedes Mal nach diesen Fahrten mit dem Gefühl, als würde ich mich immer noch fortbewegen.
»Ich bin froh, dass du’s mir erzählt hast«, sagte ich, was nur die halbe Wahrheit war. Ich war froh um die Gelegenheit, ein paar Tränen freien Lauf zu lassen, die sich schon lange in mir angestaut hatten. Aber ich war auch traurig,oder nein, untröstlich. Und verstört, weil mir die Fehlgeburt wie ein schlechtes Omen erschien.
Dass Dad in der Reha immer wieder kleine Fortschritte machte, half mir durch die langen Wintermonate. Sein Gang war irgendwann nicht mehr ganz so komisch, und er sprach nach und nach deutlicher und weniger zögerlich. Auch mit dem Denken wurde es besser, und weil er die Worte leichter fand, verlor er auch seltener die Nerven. Er wurde geduldiger mit sich selbst und mit uns. Ich begann wieder zu hoffen. Trotz einer gewissen »Miss Understanding«.
Mam mag Fiona Sheedy. Ich nicht. Sie ist ungefähr in Mams Alter, aber sie sieht älter aus. Sie haben beide zur selben Zeit am Trinity College studiert, sind sich dort aber nicht begegnet. Fiona Sheedy arbeitet auch im Sozialamt, als Psychologin im dazugehörigen Gesundheitszentrum. Vielleicht hat sie sich schon zu viele miese Lebensgeschichten anhören müssen, jedenfalls ist um sie so eine Aura, als wäre sie unendlich müde. Sie läuft in langweiligen ausgebeulten Pullovern und ausgewaschenen Leggins herum, und obwohl ich weiß, dass so etwas keine Rolle spielen sollte, tut es das irgendwie doch. Seit dem Unfall führen sie und Mam sich auf, als wären sie irgendwie Seelenverwandte.
»Sie versucht nur zu helfen«, sagte Mam, als mir zum ersten Mal der Spitzname rausrutschte, den ich ihrer Freundin gegeben habe. »Sie will nur, dass wir mit den Füßen auf dem Boden bleiben. Du weißt schon: damit wir von Dad nicht zu früh zu viel erwarten. Tatsache ist nun mal, dass uns da draußen niemand helfen wird. Da können wir nur froh sein, dass jemand wie sie mit uns kämpft.«
Trotzdem lächelt mir Miss Understanding zu viel. Sie spricht zu salbungsvoll und hört zu verständnisvoll zu, den Kopf immer ein bisschen zur Seite geneigt, mit weit aufgerissenen Augen und halb geöffnetem Mund. Ein Gesicht, als wollte sie sagen: Ich verstehe, was du gerade durchmachst . Manchmal würde ich ihr am liebsten eine reinhauen.
Das Signal einer ankommenden SMS lässt Tom kurz zucken. Aber er schläft weiter, als seine Hand den grünen Traktor findet, den er wirklich immer bei sich hat. Ich sehe nicht nach, von wem die SMS ist. Jill, nehme ich an. Sie war früher am Abend hier, und ich habe es mit ihr fast nicht ausgehalten. An dem, was zwischen Dad und Sean passiert, ist sie natürlich nicht schuld. Sie weiß auch nichts von dem Streit, der eine für Sean dumme Situation noch verschlimmert hat. Aber ihr Gesicht gehört neuerdings auch zu denen, in die ich am liebsten reinschlagen würde. Ich weiß, dass sie nur nervt, weil sie das Leben für eine Art Dauerwettbewerb hält, aber das ändert nichts. Obwohl ich es früher lustig fand. – Ich hatte mich erkältet, und sie spürte sämtliche Symptome
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