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Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Titel: Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Sohn des Horus

    Tief unter den Schwingen des Obsidianlöwen zog die Landschaft dahin wie ein Meer aus Asche. Vermithrax’ Körper aus pechschwarzem Stein glitt fast schwerelos unter der dichten Wolkendecke dahin. Das Mädchen auf seinem Rücken hatte das Gefühl, als könnte es die wattige Unterseite der Wolken berühren, wenn es nur den Arm danach ausstreckte. Merle krallte sich mit beiden Händen in die Mähne des geflügelten Löwen. Vermithrax’ langer Pelz war aus Stein wie sein ganzer Körper, doch aus Gründen, die Merle nicht kannte, fühlte sich sein Haar weich und biegsam an - nur eines der zahlreichen Wunder, die der Steinlöwe in seinem tonnenschweren Obsidiankörper barg.
    Der Wind war in dieser Höhe empfindlich kühl und schneidend. Er drang ebenso mühelos durch Merles rotes Cape wie durch das grobe, wadenlange Kleid, das sie darunter trug. Der Saum war hochgerutscht und entblößte ihre Knie, ihre Beine waren dem Wind ausgesetzt. Die Gänsehaut auf ihren Schenkeln schien ihr mittlerweile ebenso selbstverständlich wie ihr knurrender Magen und die Ohrenschmerzen, die sie von der Höhe und der kalten Luft bekam. Immerhin schützten die klobigen Lederschuhe ihre Füße vor der Kälte, ein schwacher Trost angesichts ihrer verzweifelten Lage und des menschenleeren Landes, das hundert Schritt unter ihnen dahinzog.
    Vor zwei Tagen war Merle auf Vermithrax’ Rücken aus ihrer Heimatstadt Venedig entkommen. Gemeinsam hatten sie den Belagerungsring des Imperiums durchbrochen und flogen nach Norden. Seitdem hatten sie unter sich nichts als verwüstete Einöde gesehen. Leere Ruinenstädte aus gezahnten, ausgeglühten Mauerreihen; verlassene Gehöfte, viele niedergebrannt oder unter den Sohlen der ägyptischen Armeen zu Staub zermahlen; Dörfer, in denen nur noch streunende Katzen und Hunde lebten; und natürlich jene Stellen, an denen das Erdreich aussah wie umgekrempelt, aufgewühlt und von Kräften verheert, die tausendmal stärker waren als jeder Ochsenpflug.
    Allein die Natur widersetzte sich der brachialen Macht des Imperiums, und so kam es, dass viele Wiesen in frühlingshaftem Grün erstrahlten, dass sich blühende Fliederbüsche über verödeten Mauern erhoben und die Bäume dichtes, saftiges Laub trugen. Die Kraft und das Leben all dieser Pflanzen standen in einem höhnischen Gegensatz zu den verlassenen Höfen und Ansiedlungen.
    »Wie lange noch?«, fragte Merle mürrisch.
    Vermithrax’ Stimme war tief wie ein Brunnenschacht. »Einen halben Tag weniger als heute Mittag.«
    Sie erwiderte nichts, sondern wartete, dass sich die geisterhafte Stimme in ihrem Inneren meldete, wie meist, wenn Merle Trost oder einfach nur ein paar aufmunternde Worte brauchte.
    Aber die Fließende Königin schwieg.
    »Königin?«, fragte sie zaghaft. Vermithrax hatte sich längst damit abgefunden, dass Merle gelegentlich mit jemandem sprach, den er weder sehen noch hören konnte. Er erkannte rasch, wenn ihre Worte nicht an ihn gerichtet waren.
    »Gibt sie keine Antwort?«, fragte er nach einer Weile.
    »Sie denkt nach«, kam es über Merles Lippen, aber es war nicht sie selbst, die diese Worte aussprach. Die Fließende Königin hatte sich einmal mehr ihrer Stimme bemächtigt. Mittlerweile tolerierte Merle diese Unart, auch wenn sie sich im Stillen darüber ärgerte. Im Augenblick war sie froh, dass die Königin überhaupt ein Lebenszeichen von sich gab.
    »Worüber denkst du nach?«, fragte Merle.
    »Über euch Menschen«, sagte die Königin und wechselte wieder in ihre Gedankenstimme, die nur Merle hören konnte: »Wie es so weit kommen konnte. Und was einen Mann wie den Pharao zu … so etwas bringt .« Sie hatte keine eigene Hand, um auf die Ödnis am Boden zu zeigen, aber Merle wusste sehr gut, was sie meinte.
    »Ist er das denn? Ein Mensch, meine ich? Immerhin war er tot, bis ihn die Priester wieder zum Leben erweckt haben.«
    » Allein die Tatsache, dass ein Mann von den Toten aufersteht, muss doch nicht bedeuten, dass er alle Länder mit einem Krieg überzieht, wie ihn die Welt seit langem nicht mehr gesehen hat.«
    »Seit langem?« Merle wunderte sich. »Gab es denn schon einmal einen Krieg, bei dem es gelungen ist, fast die ganze Welt zu erobern?« Mit Ausnahme von Venedig, dessen Stunden gezählt waren, widerstand nur das Zarenreich seit drei Jahrzehnten den Angriffen des Imperiums. Alle anderen Länder waren schon vor langer Zeit von Mumienheeren und Skarabäenschwärmen überrannt worden.
    »Man hat es

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