Jinx und der magische Urwald (German Edition)
das laute
Ha!
, das seiner Frau galt, in seinen Gedanken fast hören.
»Vermisst du deine Familie nicht?«, fragte Sophie.
»Die sind alle tot«, sagte Jinx.
Kaum hatte er es ausgesprochen, merkte Jinx, dass er einen Fehler gemacht hatte. Simon hatte Sophie gerade erzählt, er hätte ihn Jinx’ Familie abgekauft. Selbst für einen Zauberer dürfte es schwierig sein, Geschäfte mit Toten zu machen. Jinx biss in sein Kürbisbrot, um seine Verwirrung zu verbergen.
»Das tut mir leid«, sagte Sophie sanft.
Jinx nickte vorsichtig. Hinter ihrer Freundlichkeit war plötzlich hartes Eisen zu spüren.
»Sag mal, Jinx, waren sie alle schon tot,
bevor
du meinen Mann kennengelernt hast?«
Simon hörte auf, im Feuer zu stochern, und erstarrte mit dem Schürhaken in der Hand. Die Küche wurde still.
Jinx zerquetschte das Kürbisbrot in den Händen. »Ja! Lange vorher! Die mich verkauft haben, das waren meine Stiefeltern. Sie waren nicht mit mir verwandt.« Er biss in das zerdrückte Brot und sagte kauend: »Deshalb wollten sie mich auch loswerden.«
Die Stille verzog sich aus der Küche. Jinx hatte das Richtige gesagt. Es war nicht ganz die Wahrheit gewesen. Er hatte eine Kleinigkeit ausgelassen, die Trolle, aber es war die richtige Antwort gewesen. Das sah er, als Simon Sophie einen
Siehst du?
-Blick zuwarf und Sophie entschuldigend lächelte. Die Küche taute auf, und ein Hauch von dem silbersüßen Gefühl sickerte wieder herein. Zwar nicht so viel, dass es richtig unangenehm war, aber Jinx wünschte sich doch sehr, dass dieses Mitternachtstreffen nun zu einem Ende käme. Er wusste nicht recht, warum er meinte, Simon mit einer Lüge vor seiner Frau in Schutz nehmen zu müssen. Aber er hatte ein gutes Gefühl dabei gehabt.
Später, als er im Bett lag und hörte, wie das Feuer in der Küche vor sich hin knisterte, kam ihm die Frage
Waren sie alle schon tot,
bevor
du meinen Mann kennengelernt hast?
auf einmal sehr merkwürdig vor.
Werwölfe
N ach diesem Vorfall war Sophie oft da, wenn sie auch nie sehr lange blieb. Die Zeiten, in denen Simon sich tagelang in seine Zimmer zurückgezogen hatte, waren vorbei – Sophie ließ keinen Zweifel daran, dass ihre Besuche Jinx ebenso galten wie Simon. Jinx fand das schön. Sophie war anders als alle anderen, die er kannte. Sie war klug, weder griesgrämig noch gackerig, und sie war freundlich und unerschrocken.
Sophie sprach eine Sprache, die Jinx noch nie gehört hatte. Auch Simon beherrschte sie, und Jinx musste sich eine Weile einhören, ehe er etwas verstand. Meist redeten sie in dieser Sprache über Sachen, die Jinx nicht hören sollte. Sie sprachen von einem Ort namens Samara – manchmal stritten sie darüber. Jinx fragte sich, wo dieses Samara wohl lag.
»Wo ist Sophie?«, fragte Jinx einmal, als sie drei Tage da gewesen und plötzlich verschwunden war.
»Sie ist gegangen«, sagte Simon.
»Wohin?«
»Nach Hause. In ihre Heimat.«
»Warum wohnt sie nicht hier?«
»Lass das mal meine Sorge sein«, sagte Simon.
»Wie kommt sie hierher? Sie kommt nie zur Haustür herein, immer kommt sie aus deinen Zimmern.«
»Na, dann wird sie wohl auch daher kommen.«
»Aber es führt doch von außen keine Tür zu deinen Zimmern.« Jinx hatte sich draußen alles genau angeguckt.
»Dann klettert sie vielleicht zum Fenster herein«, sagte Simon.
»Gibt es da einen Geheimgang?«
»Wenn ich es dir erzählen würde, wäre er nicht mehr geheim.«
»Ich glaub, sie kommt durch Magie hierher«, sagte Jinx.
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Ich finde, es ist jetzt Zeit, dass du den Dachboden fegst.«
Das sagte Simon immer, wenn er Jinx’ Fragen leid war.
Jinx war überzeugt, dass im Südflügel magische Dinge vor sich gingen und dass die Zimmer das Geheimnis bargen, wie Sophie ins Haus kam. Je weniger Jinx sich vor Hexen und Zauberern fürchtete, desto größer wurde seine Neugier. Aber Simon ließ die verbotene Tür nie unverschlossen. Jinx hatte versucht durch die magische Katzenklappe zu spähen, aber da sie wusste, dass er keine Katze war, öffnete sie sich für ihn nicht.
Eines Tages, Jinx war acht Jahre alt, machten Simon, Sophie und er, wie so oft, einen Spaziergang im Urwald. Sein Gefühl für den Urwald hatte sich verändert. Früher war es immer so gewesen, als wollte der Urwald ihn packen, hineinziehen und verschlingen. Jetzt fühlte es sich eher so an, als würde er ihn einhüllen, als wären sie beide Teil eines gigantischen Lebewesens. Jinx hatte keine Angst
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