Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief
entgegengekommen war. Kapitän Joel Gustafsson hatte es gewagt, sie anzuschauen. Aber er, der da träumte, Joel Gustafsson mit Halsschmerzen, hatte den Blick niedergeschlagen. Nicht einmal im Traum hatte er es richtig gewagt, sie anzuschauen. Sie war eher wie ein undeutlicher Schimmer gewesen. Etwas, das man nur fast sieht. Genau das war die Frau gewesen, ein undeutlicher Schimmer.
Aber etwas hatte er gesehen. All das Unbekannte, was ihn so beunruhigte.
Und sie war fast wie Ehnströms neue Verkäuferin gewesen. Die, die Stockholmer Dialekt sprach und noch nicht wie die anderen alten Tanten war.
Plötzlich wusste Joel es. Er saß in seinem Bett und war krank. Und wusste. Sein Neujahrsgelübde, das er sich gegeben hatte, die nackte Frau, die er sehen würde, das war Ehnströms Verkäuferin. Die würde er sehen. Ohne Kleider. Wie immer er es auch bewerkstelligen würde.
Es war jedenfalls ein Schritt in die richtige Richtung. Jetzt wusste er, wen er gewählt hatte. Oder wen der Traum für ihn ausgewählt hatte.
Er merkte, dass der Traum ihn hungrig gemacht hatte. Sein Hals tat auch fast nicht mehr weh. Er ging zum Speiseschrank und holte den Teller mit der Blutwurst, die vom Vortag übrig geblieben war. Kalte Blutwurst schmeckte nicht gut. Aber wenn man richtigen Hunger hatte, war es nicht so wichtig, was man aß. Er nahm noch etwas Marmelade zur Blutwurst und setzte sich in die Fensternische. Draußen auf der Straße fuhr ein Auto vorbei, gleich darauf noch eins. Dicke Frauen gingen auf dem Trottoir entlang, vorsichtig, um nicht auszurutschen. Sie wollten wahrscheinlich zu Ehnström, einkaufen. Und keine von ihnen sah, dass er im Fenster saß und wünschte, sie würden hinfallen.
Joel aß. Hungrig war er. Dann ging er zurück in sein Zimmer. Fragte sich, ob Lars Olsson, der auf dem Friedhof begraben lag, jemals Blutwurst gegessen hatte.
Er schob den Gedanken beiseite, als er sich in seinem Bett unter der Decke zusammenrollte. Am liebsten würde er weiter von der Frau träumen, die ihm am Strand entgegengekommen war. Aber er hatte noch mehr Neujahrsgelübde, die er bedenken musste. Außerdem war der Tag noch lang. Es würde noch viele Stunden dauern, ehe Samuel aus dem Wald heimkehrte.
Er würde hundert Jahre alt werden. Mindestens bis 2045 leben. Um so alt zu werden, musste er sich abhärten. Aber in der Welt, in der er lebte, gab es keine Riesen, mit denen er seine Kraft messen konnte.
Es gab nur den Winter. Den Schnee und die Kälte. Den Winter musste er herausfordern und besiegen. Er würde beweisen, dass er stärker war als die Kälte. Wie er das anstellen würde, wusste er auch. Wenn er nur erst wieder gesund war, würde er sofort beginnen. Er würde nachts draußen schlafen.
Im Holzschuppen auf dem Hof stand ein altes Bett. Das würde er nehmen. Wenn Samuel eingeschlafen war, würde er sein Bettzeug nehmen und sich sein Bett dort unten auf dem Hof richten. Anfangs würde er in dicker Jacke und Stiefeln schlafen. Wenn er sich daran gewöhnt und abgehärtet hatte, würde er nur seinen Schlafanzug anhaben.
Er spürte einen Stich im Magen, als er den Gedanken dachte.
Im Bett draußen im Schnee zu schlafen.
Aber er hatte es sich geschworen. Die Toten hatten ihn gehört. Lars Olsson war Zeuge seines Neujahrsgelübdes. Er konnte sich nicht drücken.
Er rollte sich unter der Decke zusammen. Schluckte. Unten im Hals hatte er ein kratziges, kantiges Gefühl. Wie ein Stück Holz, das er im Werkunterricht zurechtgesägt hatte. Aber es schien jedenfalls nicht schlimmer zu werden.
Dann dachte er an sein drittes Gelübde. Wie er im Lauf dieses Jahres das größte aller Probleme, die er hatte, lösen würde. Wie er Samuel dazu bringen könnte, seine Axt ein für alle Mal in den nächsten Baumstumpf zu schlagen, seine alten Koffer und den Seemannssack aus dem Schrank zu holen und zu sagen: »Jetzt ist es so weit. Jetzt gehen wir ans Meer. Die Wogen warten.«
Die Wogen warten.
Joel wurde es ganz heiß. Die Wellen warteten irgendwo weit entfernt. Aber würden sie immer warten?
Er wusste, dass es nur zwei Möglichkeiten gab: Entweder musste er sich selbst und Samuel so sehr blamieren, dass sie einfach nicht im Ort bleiben konnten. Das war die eine Alternative. Dass sie flohen.
Die andere war, dass Joel sich etwas einfallen ließ, wie er ordentlich viel Geld verdienen könnte. Damit Samuel keine Bäume mehr zu fällen brauchte, nur, damit sie was zu essen hatten.
Aber wie sollte er so viel Geld verdienen? Er war
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