Joel 3 - Der Junge der im Schnee schlief
dreizehn Jahre alt. Immer noch ein Rotzgör. Und Rotzgören verdienen kein Geld.
Aber er hatte trotzdem ein paar Ideen.
Die eine war die, Schwedens jüngster Rock-König zu werden. Ein Schnee-Elvis.
Die andere war, Wohnwagen zu verkaufen. Das hatte er begriffen. Wohnwagen zu verkaufen war eine gute Methode, um schnell reich zu werden.
Er wurde aus seinen Gedanken gerissen. Etwas hatte ihn gestört. Dann sah er aus dem Fenster und sprang aus dem Bett.
Es hatte wieder angefangen zu schneien. Die Flocken fielen dicht auf die Erde.
5
Frau Nederström sah Joel an.
Es war der Tag danach. Als Joel wieder gesund war. Aber sie schaute ihn nicht mit dem Blick an, der erkennen ließ, dass sie sein Geheimnis durchschaut hatte. Sie fragte nur, ob er krank gewesen sei. Und er antwortete ja. Da hatten sie schon den Morgenchoral gesungen. Joel hatte den Atem angehalten, als sie sich an die Orgel setzte und zu treten begann. Wenn aus den Pfeifen keine Töne kämen, würde er in Ohnmacht fallen. Er hielt sich mit beiden Händen am Tisch fest. Als ob er sich auf einem großen Schiff befände, dem sich eine große Welle näherte. Eva-Lisa, der Windhund, die neben ihm stand, grinste. Aber sie konnte nichts wissen. Sie grinste über alles, das auch nur ein wenig anders war. Es reichte, dass Joel sich auf dem Tisch abstützte.
Aber Frau Nederström schien ihn nicht im Verdacht zu haben. Das war das Wichtigste. Dann würde der heimliche Besuch ein Rätsel bleiben. Wenn Joel nicht beschloss, es selbst zu gestehen. Irgendwann in der Zukunft. Vielleicht wenn er neunzig war, 2035. Aber dann würde Frau Nederström schon tot sein. Würde auf dem Friedhof unter einem schweren Stein liegen, wie dieser Lars Olsson. Dann begann der Unterricht. Und er begann gut. In der ersten Stunde hatten sie Geografie und das war Joels Lieblings fach. Besonders wenn Frau Nederström von fernen Ländern erzählte. An diesem Tag ging es allerdings um die nordischen Länder. Das machte nicht solchen Spaß. Aber Joel war aufmerksam. Und ihm kam es vor, als ob Frau Nederström auch lebendiger wurde, wenn sie Geografie hatten. Ausgerechnet an diesem Morgen kam ihm der überraschende Gedanke, dass auch sie einmal jung gewesen war. Auf einer Schulbank gesessen hatte wie Joel. Und vielleicht Geografie am liebsten gehabt hatte.
Das fiel Joel am allerschwersten. Sich alte Menschen gleichaltrig mit ihm selbst vorzustellen. Das galt nicht zuletzt auch für Samuel. Manchmal hatte Joel Fotos angeschaut, auf denen Samuel ein Kind war. Genauso alt wie er selbst. Er konnte erkennen, dass es Samuel war. Trotzdem war es, als ob er einen fremden Menschen betrachtete. Wenn Joel die Bilder von Samuel anschaute, überlegte er, wie er sich selber verändern würde. Was würde er in fünfzig Jahren im Spiegel sehen? Oder gar in hundert Jahren? Er stellte sich vor, er ginge im Jahr 2044, in dem Jahr, bevor er sterben würde, zum Fotografen. Ein alter Mann mit einem langen weißen Bart. Aber ohne gekrümmten Rücken. Den würde er nie kriegen, solange er lebte. Das hatte er beschlossen. Sein Neujahrsgelübde würde das ganze Leben gelten und jedes Jahr wiederholt werden.
Die Zeit verging schnell. Wenn der Tag mit Geografie begann, war es, als ob der ganze Schultag einen Anlauf nahm und auf spiegelndem Eis davonglitt. Sogar die langweilige Religionsstunde konnte dann spannende Momente haben. An diesem Tag erzählte Frau Nederström von Johannes dem Täufer, dessen Kopf abgeschlagen und auf einen Teller gelegt wurde. Und Salome tanzte und bekam seinen Kopf zur Belohnung. Frau Nederström erzählte, dass Salome, die sehr schön gewesen war, in durchsichtigen Schleiern tanzte. Joel konnte sich nichts anderes darunter vorstellen, als dass sie fast nackt gewesen sein musste. Oder die ganze Salome war durchsichtig gewesen. Der Windhund kicherte. Joel nahm an, das bedeutete, dass er Recht hatte.
Heimlich musterte er Eva-Lisa. Sie begann sich zu verändern. Bekam Brüste. Joel fiel es oft schwer, sie nicht anzufassen. Vor allen Dingen die Brüste. Manchmal, wenn er sich nach etwas bückte, versuchte er es so einzurichten, dass er sie berührte. Aber sie war auf der Hut. Der Windhund lief nicht nur schneller als jeder andere. Sie konnte auch fauchen und die Zähne zeigen.
Joel begann zu träumen. Von Ehnströms Verkäuferin, die in durchsichtigen Schleiern hinterm Ladentisch tanzte. Aber die dicken Tanten sahen nichts. Nur Joel bemerkte, was geschah. Dann kam Ehnström selbst hinter den
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