Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt
spreche?« Joel hatte einen dicken Kloß im Hals. Er war kurz davor zu weinen und musste sich innerlich dagegenstemmen. »Ja«, sagte er. »Samuel war ungewöhnlich.«
Und das sagte Boman auch auf der Beerdigung. Es waren nicht viele Menschen in der Kirche. Joel saß ganz vorn zwischen Sara und Göransson. Der Sarg war braun. Joel vermied es hinzusehen. Er konnte sich sowieso nicht vorstellen, dass Samuel darin lag.
Samuel hatte sich auf den Weg gemacht. Er war abgereist.
Er hatte auf einem unsichtbaren Schiff angeheuert und war unterwegs zu einem Hafen, der auf keiner Seekarte verzeichnet war. Aber vielleicht hieß das Schiff Celestine?
Samuels Grab war an der westlichen Mauer des Friedhofs. Als der Sarg hinabgesenkt wurde, konnte Joel die Tränen nicht mehr zurückhalten. Er versuchte sich die ganze Zeit an dem Gedanken festzuhalten, dass Samuel sich irgendwo auf einem Schiff befand. Auf dem Weg in wärmere Länder. Aber obwohl er sich so sehr dagegen wehrte, wie er nur konnte, es half nichts. Jetzt nicht mehr.
Hinterher tranken sie Kaffee im Touristenhotel. Göransson sprach mit Joel darüber, dass sie gleich am nächsten Tag die Wohnung durchgehen würden um zu sehen, was es gab. Da Joel beschlossen hatte, nicht darin wohnen zu bleiben, würden andere Menschen einziehen. Es dauerte eine Woche.
Die Möbel verschwanden. Joel packte seine Sachen in den Seesack und in den alten Koffer.
Schließlich war nur noch eine Matratze übrig. Ein Laken, ein Kissen, eine Decke. Eine Nacht noch würde Joel hier schlafen. Dann würde er abreisen.
Er verabschiedete sich von Göransson und Sara.
Und an diesem Abend, dem letzten, streifte er durch den Ort.
Es war immer noch kalt.
Er schlenderte die alten Straßen entlang. Blieb vorm Gemeindehaus stehen und betrachtete das Kinoplakat. Spazierte auf dem leeren Schulhof herum. Rundherum, rundherum, bis er nicht mehr konnte.
Jetzt hatte er es eilig. Eilig wegzukommen. Er kehrte in die leere Wohnung zurück und war im Handumdrehen auf seiner Matratze eingeschlafen. Draußen war es sternklar und der Mond schien.
15
Joel wurde mit einem Ruck wach.
Als er die Augen aufschlug, war es vollkommen dunkel. Er merkte, dass ihn fror. Es war, als ob die Kälte aus dem Fußboden durch die Matratze und seine Kleider drang. Er lag still in der Dunkelheit und lauschte. Es knackte und ächzte in den Wänden und Dachbalken. Er dachte an all die Male, wie er aufgewacht war und die Geräusche gehört hatte. Sie waren immer da gewesen, schon seit er sehr klein gewesen war. So klein, dass er sich fast nicht mehr erinnern konnte.
Er zog die Decke zum Kinn und rollte sich zusammen. Der Wecker stand neben ihm auf dem Fußboden. Die Zeiger leuchteten. Viertel vor fünf. In einer halben Stunde würde der Wecker klingeln.
Er merkte, dass er Magenschmerzen bekam. Etwas schlug zu. Es war seine allerletzte Nacht in dem Haus am Fluss. Seine letzte Nacht und sein letzter Morgen. Heute würde er endgültig weggehen. Schon am selben Tag würden andere Menschen einziehen. Sie würden andere Möbel aufstellen und andere Bilder an die Wände hängen. Dann würde es keine Spuren mehr geben, weder von Samuel noch von Joel. Die Zeit würde vergehen. Andere Stimmen würden in den beiden Zimmern und in der Küche ertönen. Andere Ohren würden in kalten Winternächten das Knacken in den Wänden und Balken hören. Bald würde nichts mehr an den Holzfäller und seinen Sohn erinnern, die einmal in diesem Haus gewohnt hatten.
Das tat weh. Es war groß und gleichzeitig erschreckend. Joel rollte sich so fest zusammen, wie er konnte. Er wünschte, alles wäre noch so wie früher. Dass Samuels Schnarchen durch die halb offene Tür käme. Aber es war still. Da waren nur die Wände, die in der Kälte knackten. Als er noch klein gewesen war, hatte er manchmal geglaubt, es sei möglich, die Zeit anzuhalten. Einen Augenblick festzuhalten, der ihm gefiel. Aber das ging jetzt nicht mehr. Joe l überlegte, ob das bedeutete, dass er erwachsen geworden war. Früher hätte er Samuel fragen können. Aber das ging auch nicht mehr.
Nichts würde mehr so sein wie früher. Nichts. Jetzt bin ich allein, dachte Joel.
Samuel ist tot. Und Jenny Rydén kann nie meine Mama werden. Sie kann nur meine Freundin werden. Genau wie Eva und Maria meine Freundinnen werden können. In einigen Stunden reise ich ab. Niemand wird auf dem Bahnhof stehen und mir nachwinken. Niemandem fällt auf, dass ich verschwinde.
Joel merkte, dass er anfing zu
Weitere Kostenlose Bücher