John Lennon - across the universe - die spirituelle Biografie
postmodernen Existenz fest: Eine Menschenmenge, die um einen Toten herum im Kreis steht, ergeht sich in Vermutungen über die Frage, welcher Gesellschaftsschicht dieser wohl entstammen mag; ein Mann schaut sich einen Film an und hält, obgleich er ihn langweilig findet, bis zum Schluss durch, bloß um zu sehen, inwieweit er dem Drehbuch entspricht; inmitten der hektischen Betriebsamkeit einer Großstadt schwärmen Menschen aus, die eifrig damit beschäftigt sind, Schlaglöcher zu zählen, um deren exakte Anzahl in Erfahrung zu bringen.
Die Inspiration zu dem Song hatte Lennon in erster Linie beim Durchblättern der Tageszeitung gewonnen. Der angesprochene Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang hat sich am 18. Dezember 1966 zugetragen. Am nächsten Tag las Lennon einen Bericht über den Unfall in der
Daily Mail
. Der ums Leben gekommene Mann, der am Steuer des Autos gesessen hatte, war den vier Musikern wohlbekannt. Bei ihm handelte es sich um den einundzwanzigjährigen Tara Browne, den Erben des Guinness-Vermögens. 94 In derselben Zeitung fand Lennon auch einen Bericht über die grotesk anmutende »Tatsache«, dass man in Blackburn, Lancashire, insgesamt viertausend Schlaglöcher systematisch gezählt hatte. Und mit dem Film, von dem Lennon hier spricht, spielt er mit ziemlicher Sicherheit auf
Wie ich den Krieg gewann
an. In diesem Antikriegsfilm hatte er im letzten Herbst eine Rolle übernommen.
Traumwandlerisch sicher und mit viel Geschick verwob Lennon die aus der Zeitungslektüre gewonnenen Eindrücke – die, wie es scheint, eigentlich in keinem rechten Zusammenhang stehen – zu einem Kommentar über die Fragilität der menschlichen Existenz, ihren von Grund auf unsicheren Charakter. Er krönte das Ganze mit der wundervoll absurden Überlegung, wie viele Löcher man wohl benötigen würde, wenn man mit ihnen die Royal Albert Hall füllen wollte. Der Kern seiner Botschaft ist in der sanften Aufmunterung zusammengefasst, man möge doch von der Möglichkeit Gebrauch machen, »sein Bewusstsein zu erweitern«. Diese Aufmunterung wird kurz vor einer in stratosphärische Höhen aufsteigenden Orchesterpassage eingestreut.
Ja, unsere menschliche Existenz hat absurde Züge, meint Lennon. Durch eine Erweiterung unseres Bewusstseins werden wir jedoch in die Lage versetzt, uns über diese Absurdität zu erheben: Uns ist ein Zustand erreichbar, in dem wir den banalen Alltagsverrichtungen ihre Absurdität nehmen und unser Augenmerk auf das richten können, was wirklich zählt. Und psychedelische Drogen, so Lennon, eröffnen uns die Möglichkeit, solch eine Bewusstseinserweiterung schneller zu erreichen.
Was aber
hat
in Lennons Augen wirklich gezählt?
Ende 1965 hatte er »The Word« veröffentlicht, eine Melodie, die er in Anerkennung der Tatsache schrieb, dass er durch das Rauchen von Marihuana eine mildere, eine sanftmütigere Lebenseinstellung zu entwickeln vermochte. Seither hatte er eine Botschaft verbreitet, die – je nach Perspektive und geistiger Verfassung desjenigen, der sie hörte – als bemerkenswert naiv oder als erfrischend optimistisch angesehen werden konnte. Denn mit »The Word« war
Liebe
gemeint. Diese hatte er von seinem Vater praktisch überhaupt nicht bekommen, von der Mutter bloß sporadisch und von Tante Mimi, seiner faktischen Mutter, nur mit großer Zurückhaltung. Welch hoher Stellenwert ihr für die menschliche Psyche wie auch in den zwischenmenschlichen Beziehungen zukommt, dafür hatte er daher eine deutlich erhöhte Sensibilität entwickelt. Im Rahmen seiner inneren Entdeckungsreise unter dem Einfluss von Marihuana und LSD hat er diese fundamentale Wahrheit noch deutlicher zu erfassen gelernt. Könnten wir, jeder von uns, all unseren Mitmenschen, ja der Welt insgesamt, mit einem Herzen voller Liebe begegnen, würden sich sämtliche Probleme und all die Zwietracht dieser Welt in Wohlgefallen auflösen.
An seiner Intention ließ John Lennon keinen Zweifel bestehen: Er verstand sich als Aufklärer, das hat er klipp und klar zum Ausdruck gebracht. Aufgrund ihrer unvergleichbaren Ausnahmestellung waren die Beatles in der Lage, den Geist der Menschen zu beeinflussen, zumal wenn es um die jüngere Generation ging. Und Lennon war inzwischen gewohnt, dies nicht einmal so sehr als Chance zu betrachten, sondern als eine
Verpflichtung
, einen Beitrag zum Wohl der Menschen zu leisten.
Wie zutreffend die von Viktor E. Frankl ausgesprochene Anregung war, hat Lennon leibhaftig erfahren: Indem er
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