John Puller 01 - Zero Day
hatte einen Ring an der Hand. Vielleicht bestand er aus Wolfram, und es ist in seine Haut eingedrungen.«
»Nein, so war es nicht. Wir haben den Ring untersucht.«
»Er hat in einem Laden für Chemiebedarf gearbeitet. Und er hatte eine Harley.«
»Auch daraus ergibt sich keine zwangsläufige Erklärung für das Vorhandensein des Wolframkarbids.«
»Sonst noch etwas?«
»Ist das nicht genug?«, fragte Kristen.
»Sie haben mir keine Antworten geliefert.«
»Ich kann nur Fakten feststellen. Die Antworten, mein Freund, müssen Sie herausfinden.«
Sie beendeten das Telefonat. Bedächtig legte Puller das Handy zur Seite. Da er beim Militär war, kannte er noch einen weiteren Verwendungszweck für Wolframkarbid. Häufig benutzte man es zur Herstellung panzerbrechender Munition, vor allem dann, wenn am gängigen Material, nämlich abgereichertem Uran, Mangel bestand. Aber dafür, dass Treadwell solche Munition fabriziert hatte, fehlte es in seinem Haus an allen weiteren Indizien. Man brauchte Platz. Spezielle Maschinen. Und Geld. Und der Vertrieb zahlreicher Teile, die man benötigte, um unter Verwendung abgereicherten Urans Munition zu erzeugen, wurde von der Regierung streng überwacht. Wie sollte ein Harley fahrendes Landei in West Virginia so etwas zustande bringen, selbst wenn es einen Job in einem Geschäft für Chemiebedarf hatte? Und selbst, wenn es Treadwell gelungen wäre – warum hatte man ihn ermordet? Vielleicht war derjenige, für den er die Munition hergestellt hatte, darauf aufmerksam geworden, dass Treadwell es allmählich mit der Angst zu tun bekam und über Reynolds Kontakt mit den Regierungsbehörden aufnahm.
Um mehr Klarheit zu gewinnen, musste Puller in dem Laden, in dem Treadwell beschäftigt gewesen war, nachprüfen lassen, ob man eine größere Menge Wolframkarbid vermisste, sofern man es überhaupt führte. Falls ja, konnte dadurch ganz neues Licht auf die Geschehnisse fallen.
Puller überlegte, wie diese Hinweise zu dem passten, was Mason ihm erzählt hatte. Sollten die Attentatsziele tatsächlich die Ferngasleitung und der Atomreaktor sein, ließ dieser Munitionstyp sich verwenden, um die Röhren der Pipeline, möglichweise sogar die Reaktorabschirmung durch Geschosse zu knacken. Dann müsste Treadwell allerdings mit Dschihadisten im Bunde gewesen sein. Puller fragte sich, ob man so etwas ernsthaft in Betracht ziehen durfte. Schwer vorstellbar, dass solche Leute in der hiesigen ländlichen Gegend tätig waren, ohne dass jemand etwas bemerkte.
Dann machte Puller sich Gedanken über die Gasleitung. Sie war Eigentum einer kanadischen Firma, wurde jedoch von Trent betrieben. Konnte Trent mit Terroristen unter einer Decke stecken? Bezahlten sie ihn, damit er ihnen bei der Vorbereitung des Anschlags half? Aber weshalb sollte ein erfolgreicher Kohlenbaron sich auf so etwas einlassen? Durch die Detonation des Atomreaktors würde Trents gesamter Tagebau radioaktiv verseucht.
Trent würde nur mit Terroristen kooperieren, wenn sie ihm mehr zahlten, als seine Firma ihm einbrachte. Dann ließ sich eine Erklärung für die Morddrohungen denken. Und für Trents Nervosität. Vielleicht hatte er sich mit seinen »Geschäftspartnern« verkracht.
Puller lenkte den Malibu vom Bordstein auf die Fahrbahn. Ihm blieben keine drei Tage mehr, um die Wahrheit aufzudecken. Und wie er wusste, sprach alles gegen ihn. Doch er hatte die Uniform angezogen, um der Heimat zu dienen, und genau das hatte er vor. Selbst wenn es ihn das Leben kosten sollte.
67
Als Puller gegen vierzehn Uhr vor dem Motel vorfuhr, stand der Mercedes SL 600 vor dem Haus. Auf dem Fahrersitz saß Jean Trent. Der Motor lief, ebenso die Klimaanlage. Puller parkte neben dem Mercedes und schwang sich aus dem Wagen. Jean Trent stieg aus dem Mercedes. Sie trug ein hellgelbes Kleid mit V-Ausschnitt, einen weißen, um die Schultern geschlungenen Sweater, farblich passende Pumps sowie eine Halskette aus weißen Perlen. Frisur und Make-up waren makellos. Für so viel Glamour wirkte das alte Motel wie ein ungeeigneter Hintergrund.
»Möchten Sie hier ein Zimmer nehmen?«, fragte Puller, während er zu ihr ging und vor ihr stehen blieb.
Sie lächelte. »Als ich fünfzehn war, habe ich hier für vier Dollar die Stunde geputzt und mich für reich gehalten. Sam hat ebenfalls geputzt, bekam aber nur drei Dollar die Stunde.«
»Warum der Unterschied?«
»Sie war kleiner und konnte keine schwere Arbeit leisten. Die Leute hier sind knallhart, wenn es
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