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Johnson, Denis

Johnson, Denis

Titel: Johnson, Denis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesu’s Sohn
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hatte, wenn sie sich allein glaubte. Schnell lief ich vom Wohnzimmer- zum Schlafzimmerfenster.
    Sie hatten das Schlafzimmerfenster zugemacht und die Vorhänge vorgezogen. Was sie sagten, konnte ich nicht hören, aber ich hörte die Sprungfedern des Betts, da war ich mir sicher, und ihre süßen Schreie. Bald schrie auch er – wie ein Straßenprediger. Und die ganze Zeit stand ich versteckt in der Dunkelheit, buchstäblich zitternd vom Scheitel bis zur Sohle. Einen Spalt von fünf Zentimetern zwischen Vorhang und Fensterrahmen, mehr hatte ich nicht, mehr kriegte ich, so kam es mir vor, auf der ganzen Welt nicht mehr. Ich konnte eine Ecke des Betts sehen und die Schatten, die sich in dem schmalen Lichtstreifen bewegten, der vom Wohnzimmer hereinfiel. Ich fühlte mich betrogen – die Nacht war nicht besonders heiß, andere Leute hatten ihre Fenster aufgemacht, ich horte Stimmen, Musik, Nachrichten aus den Fernsehapparaten, ich hörte Autos vorbeifahren und Rasensprenger sirren. Aber von den beiden Mennoniten so gut wie nichts. Ich fühlte mich verlassen – ausgestoßen aus einer schützenden Gemeinde. Ich war drauf und dran, mit einem Stein die Fensterscheibe einzuschlagen.
    Aber sie schrien schon gar nicht mehr. Ich versuchte es auf der anderen Seite des Fensters, wo die Vorhänge straffer hingen, und obwohl der Sehschlitz hier schmaler war, war der Blickwinkel besser. Jetzt konnte ich Schatten erkennen: Sie bewegten sich in dem Licht, das aus dem Wohnzimmer kam. In Wahrheit waren sie nie bis zum Bett gekommen. Standen vielmehr aufrecht da. Nicht leidenschaftlich umschlungen. Eher zankten sie sich. Dann ging die Schlafzimmerlampe an, und eine Hand zog den Vorhang beiseite. Von einem Augenblick auf den anderen sah ich ihr direkt ins Gesicht.
    Bloß weg! dachte ich. Aber dann wurde mir schlagartig so schlecht, daß ich mich nicht mehr bewegen konnte. Doch das war auch schon egal. Mein Gesicht war keinen halben Meter von ihrem entfernt, aber weil es draußen dunkel war, konnte sie mich nicht sehen, nur ihr eignes Spiegelbild. Sie war allein im Schlafzimmer. Sie hatte noch alle Kleider an. Ich spürte ein Herzflattern wie sonst nur, wenn ich an einem Auto vorbeikam, das irgendwo abseits geparkt war, und auf dem Vordersitz eine Gitarre oder Wildlederjacke entdeckte und dachte: Mensch, die könnte ja jeder mitgehen lassen!
    Ich stand seitlich von ihr im Dunkeln und konnte, genaugenommen, nicht viel erkennen, hatte aber den Eindruck, daß sie erregt war. Ich meinte sie weinen zu hören. Hätte ihr eine Träne wegtupfen können, so nah war ich ihr. Und ich war ziemlich sicher, sie würde mich, wenn ich mich nicht bewegte, auch weiterhin nicht bemerken, weil ich ja von Schatten verborgen war, und so stand ich ganz still, während sie sich mit der Hand gedankenverloren über den Kopf fuhr und die kleine Haube herunterzog, das Käppchen. Ich schaute ihr ins dunkle Gesicht, bis ich ganz sicher war, daß sie Kummer hatte – sie biß sich auf die Unterlippe, stierte vor sich hin, und Tränen liefen ihr über die Wangen.
    Ungefähr eine Minute später kam ihr Mann zurück. Er machte ein paar Schritte ins Zimmer und blieb dann stehen, wie jemand, ein Boxer oder ein Footballspieler, der trotz einer Verletzung weiterzugehen versucht. Sie hatten sich also gestritten, und jetzt tat’s ihm leid, man sah es deutlich an der Art, wie er dort stand, den Kie- fer mitten im Satz erstarrt und seine Entschuldigung sozusagen vor sich in den Händen. Doch seine Frau drehte sich nicht um.
    Da machte er dem Streit ein Ende, indem er niederkniete und ihr die Füße wusch.
    Zunächst aber ging er noch einmal aus dem Zimmer und kam kurz darauf mit einer Wanne zurück, einem gelben Plastikding für den Abwasch, das er behutsam vor sich hertrug, so daß man sofort merkte, daß darin Wasser schwappte. Über seiner Schulter hing ein Geschirrtuch. Er stellte die Wanne auf den Boden und ging auf ein Knie hinunter, wobei er den Kopf neigte, als wollte er um ihre Hand anhalten. Eine Weile, vielleicht eine volle Minute lang, rührte sie sich nicht, und mir kam’s vor wie eine halbe Ewigkeit, wie ich da draußen in der Dunkelheit stand, um mich nichts als große Einsamkeit und der Schrecken eines ganzen, noch ungelebten Lebens, während sich hinter mir aus Fernsehern und Rasensprengern ein Lärm wie von tausend nie zu lebenden Leben erhob und mit den Autos die Geräusche von Reise, von Bewegung vorüberzogen, unerreichbar, uneinholbar. Dann drehte sie sich

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