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Johnson, Denis

Johnson, Denis

Titel: Johnson, Denis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesu’s Sohn
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hin und her – zwecklos. Ich war erschöpft, und nach einer Stunde schlief ich noch tiefer.
    Die ganze Zeit über hatte ich genau gewußt, was passieren würde. Doch als der Mann und die Frau mich später weckten, bestritten sie es wütend.
    «Oh – nein!»
    «NEIN!»
    Ich wurde so heftig gegen die Lehne der Vordersitze geschleudert, daß sie brach. Dann prallte ich mehrmals vor und zurück. Etwas Flüssiges flog durch das Auto und regnete auf meinen Kopf, und ich wußte sofort, das war das Blut eines Menschen. Danach saß ich wieder auf dem Rücksitz, genauso wie vorher. Ich richtete mich auf, blickte mich um. Unsere Scheinwerfer waren ausgegangen. Der Kühler zischte vor sich hin. Sonst kein Laut Außer mir war, soweit ich es erkennen konnte, niemand bei Bewußtsein. Sobald meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich, daß das Baby neben mir auf dem Rücken lag, als wäre nichts geschehen. Seine Augen waren geöffnet, und es befühlte sich die Wangen mit den Händchen.
    Sekunden später setzte sich der Fahrer, der zusammengesunken über dem Lenkrad gelegen hatte, auf und starrte uns an. Sein Gesicht war zertrümmert und schwarz vor Blut Wenn ich ihn bloß ansah, taten mir die Zähne weh, aber als er sprach, klang es nicht so, als wäre ihm auch nur ein einziger Zahn herausgebrochen.
    «Was war das denn?»
    «Ein Unfall», sagte er.
    «Dem Baby ist nichts passiert», sagte ich, obwohl ich gar nicht wußte, was mit dem Baby war.
    Er drehte sich zu seiner Frau.
    «Janice», sagte er. «Janice, Janice!»
    «Hat sie was abgekriegt?»
    «Sie ist tot!» sagte er und schüttelte sie grimmig.
    «Nein, ist sie nicht» Inzwischen tat auch ich so, als wäre überhaupt nichts geschehen.
    Das kleine Mädchen lebte, war nur bewußtlos. Es wimmerte im Schlaf. Aber der Mann schüttelte die ganze Zeit nur seine Frau.
    «Janice!» brüllte er.
    Die Frau stöhnte.
    «Die ist nicht tot», sagte ich, kletterte aus dem Wagen und lief weg.
    «Aber sie will einfach nicht wieder aufwachen», hörte ich ihn noch sagen.
    Ich stand draußen in der Nacht. Aus irgendeinem Grund hielt ich das Baby im Arm. Bestimmt hat es noch geregnet, aber an das Wetter erinnere ich mich nicht mehr. Wir waren mit einem anderen Auto zusammengestoßen, und zwar, wie ich jetzt erkannte, auf einer zweispurigen Brücke. Wasser floß unsichtbar unter uns in der Dunkelheit.
    Als ich zu dem anderen Wagen hinüberging, hörte ich plötzlich ein schepperndes, metallisches Schnarchen. Jemand war bis zur Hüfte aus der Beifahrertür geschleudert worden – die stand nämlich offen – und sah nun aus wie ein Mensch, der mit den Füßen von einem Trapez hängt Das Auto war seitlich gerammt und so platt gedrückt worden, daß nicht mal mehr für die Beine des Manns Platz geblieben war, von einem Fahrer oder weiteren Mitfahrern ganz zu schweigen. Ich ging schnell weiter.
    Aus der Ferne kamen Scheinwerfer. Ich stellte mich an die Stirnseite der Brücke, winkte mit einem Arm, daß sie anhalten sollten, und hielt mit dem anderen das Baby an die Schulter gedrückt.
    Es war ein großer Sattelschlepper; als er bremste, jaulte das Getriebe auf. Der Fahrer kurbelte das Fenster herunter, und ich schrie: «Wir hatten einen Unfall. Holen Sie Hilfe.»
    «Ich kann hier nicht wenden», sagte er.
    Er ließ mich mit dem Baby an der Beifahrerseite hinein, und wir saßen einfach da, in der Fahrerkabine, und sahen auf die Wracks im Scheinwerferlicht.
    «Alle tot?» fragte er.
    «Keine Ahnung, wer tot ist und wer nicht», sagte ich.
    Aus einer Thermosflasche goß er Kaffee in einen Becher und schaltete alle Scheinwerfer bis auf das Standlicht aus.
    «Wieviel Uhr ist es?»
    «Och», sagte er, «so Viertel nach drei.»
    Er verhielt sich, als wäre es völlig in Ordnung, daß wir in dieser Situation keinen Finger rührten. Ich war erleichtert, den Tränen nahe. Ich hatte geglaubt, ich müßte irgendwas tun, hatte aber gar nicht wissen wollen, was.
    Als ich aus der anderen Richtung ein Auto kommen sah, fand ich dennoch, ich sollte mit den Leuten reden. «Könnten Sie das Baby nehmen?» fragte ich den Lastwagenfahrer.
    «Den behältst du mal besser bei dir», sagte der Fahrer. «Ist ein Junge, oder?»
    «Glaub schon, ja», sagte ich.
    Der Mann, der aus dem Autowrack hing, lebte noch, als ich an ihm vorbeiging, und ich blieb stehen, inzwischen schon ein bißchen daran gewöhnt, wie übel er zerschmettert war, und vergewisserte mich, daß ich nichts für ihn tun konnte. Sein Schnarchen

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