Jones, Diana Wynne
überzeugt zu sein und fragte mich immer wieder nach Ganner. Also sagte ich ihm, dass Ganner unsere Mutter geheiratet hat, und sie schickten tatsächlich einen Boten nach Markind, um das nachzuprüfen. Es war unglaublich. Kaum hörte Ganner, dass ich im Gefängnis saß, da kam er nach Niedertal und schlug kräftig Krach. Während er noch damit beschäftigt war, erhielten wir die Nachricht vom Tode Tholians. Ganner setzte den Richter sofort ab. Nun habe er das Sagen, verkündete er. Es war einfach wunderbar! Er ließ auch ungefähr die Hälfte der anderen Gefangenen gehen. Mutter wusste aber, dass ich wirklich Nachrichten übermittelt hatte, und meinte, ich sollte fürs Erste lieber in den Norden ziehen. Sie bewegte Hestefan dazu, mich mitzunehmen.«
»Wie geht es Mutter?«, fragte Moril.
»Sie ist furchtbar glücklich«, antwortete Dagner. »Sie lacht den ganzen Tag. Ich weiß nicht warum – aber sie lachte sogar, als sie hörte, dass der Flinnpass blockiert ist, und sagte, du und Brid müsstet es in den Norden geschafft haben. Sie hat mir einen Brief an euch beide mitgegeben.«
Sie schnappten sich den Brief und beugten sich gespannt darüber. Es war ein guter, langer Brief, in dem Lenina ihr Leben in Markind schilderte. Sie schrieb über alles – von den gefleckten Kühen bis zu dem Dach, auf dem Moril herumspaziert war. Sie erinnerte Brid an dies und Moril an jenes und sandte ihnen Ganners Grüße … Für Moril war es wie der Brief einer flüchtigen Bekannten. Ihm war, als hätte Lenina den gleichen Brief auch dem Bäckerjungen um die Ecke schreiben können. Es tat ihm Leid, dass er es so empfand, aber er kam nicht dagegen an.
»Was für ein lieber Brief!«, rief Brid. »Den behalte ich.«
Während sie lasen, hatte Hestefans schöne Tochter den Wagen zu den Stallungen gefahren. Moril ärgerte sich darüber, denn er hatte mit Hestefan sprechen wollen. Er eilte zu den Ställen, aber der grüne Wagen stand bereits leer im Kutschhaus neben ihrem eigenen abgenutzten, verblassten rosa Gefährt. Moril ging wieder in den Hof, wo Dagner sich ungewohnt gesprächig gab, wohl weil er sich freute, sie alle wiederzusehen.
»Soll ich dir etwas richtig Verrücktes erzählen?«, fragte er gerade Kialan, als Moril näher trat. »Das wirst du mir nie glauben!«
»Nur zu«, sagte Kialan.
»Also«, sagte Dagner, »ich bin der Graf der Südtäler. Sie wollen mich dort zwar nicht«, fügte er hastig hinzu, als Kialan vor Lachen losprustete. »Nichts könnte sie dazu bewegen, mich in das Amt einzusetzen. Aber es ist wahr. Tholian war nicht verheiratet, und alle seine Vettern wurden getötet, als der Flinnpass einstürzte – davon müsst ihr aber noch erzählen! Ich bin der einzige überlebende Erbe. Und mein Nachfolger ist Moril. Ehrenwort.«
Moril blieb still und überließ es Brid und Kialan, auf dem überfüllten Hof laute Schreie auszustoßen. Nun wusste er, was in seinem Hinterkopf gegärt hatte, ohne dass er darüber nachdenken wollte. Er hatte es getan. Er hatte gewaltige Vernichtung heraufbeschworen und so viele Menschen getötet, dass Dagner nun ein Graf war. Ohne Zweifel fand jeder, er habe richtig gehandelt. Er hatte den Norden gerettet, einen Krieg verhindert und Clennen und Konian gerächt. Trotzdem wusste Moril, dass er ein Unrecht begangen hatte, denn sein einziger Wunsch war gewesen, Olob zu rächen. Mit der Quidder in der Hand hatte er vorgegeben, Vergeltung für Konian, Clennen und Dagner zu üben und den Norden retten zu wollen, aber in Wirklichkeit wollte er nur Rache für Olob. Dafür schämte er sich. Vor allem aber hatte er die Quidder betrogen, und das war das Schlimmste. Wenn man sich erhob und die Wahrheit in falscher Weise aussprach, dann war es eben keine Wahrheit mehr, aber sie blieb so machtvoll wie zuvor. Moril sah ein, dass er weder alt noch weise genug war, um solch ein mächtiges Instrument zu führen wie diese Quidder.
An diesem Abend gab es ein Festmahl zu Ehren Dagners, Hestefans und Fennas, Hestefans Tochter. Hestefan sang: alte Lieder, neue Lieder, viele, die Moril noch nie gehört hatte. Wenn Hestefan sang, vergaß man den Barden und dachte nur noch an das Lied. Damit beeindruckte er Moril sehr. Nach den Liedern erzählte Hestefan eine Sage, eine Legende, die Moril noch nicht kannte. Und während Hestefan sprach, vergaß Moril völlig, wer die Geschichte erzählte, und lebte nur noch in der Sage. Moril wurde bewusst, wie viel er noch zu lernen hatte.
Nachdem Hestefan geendet hatte,
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