Jones, Susanna
antun können.»
«Wissen Sie, was eigenartig an Ihnen ist?»
Ich trotze seinem Blick. Red weiter.
«Es ist interessant. Wenn eine Leiche aufgefunden wird, zeigen sich die Freunde und Angehörigen des Opfers normalerweise fest entschlossen zu glauben, dass es sich dabei unmöglich um den geliebten Menschen handeln könne. Bis die offizielle Identifizierung stattgefunden hat, weigern sie sich zu akzeptieren, was unter Umständen für jeden anderen offensichtlich ist. Und manchmal akzeptieren sie es selbst dann nicht. In Ihrem Fall dagegen scheint eine unerschütterliche Bereitschaft vorzuliegen zu glauben, dass es sich bei der in der Tokiobucht aufgefundenen Leiche um Ihre Freundin Lily Bridges handelt. Eigenartig.»
Ich verstehe ihn nicht.
«Es war nicht Lilys Leichnam?»
«Nein, das war es nicht. Und trotzdem waren Sie sich so sicher.»
Er kennt meine Vorgeschichte nicht, weiß nicht, wie viele
Leichen meinen Lebensweg pflastern und dass diese weitere nur nahe liegend, ja unausweichlich erschienen war. Ich war nicht weiter überrascht gewesen, als ich die Zeitungen las. Sobald ihr Chef sie als vermisst gemeldet hatte, wusste ich, dass Lily tot war. Das behalte ich allerdings für mich. Es könnte gegen mich verwendet werden. Für schuldig befunden. Die zufällige Serienmörderin. Die Serien-Zufallsmörderin.
«Wer war es dann?»
«Wir wissen es nicht. Die Leiche ist nicht identifizierbar. Die Zeitungen waren ein wenig voreilig, als sie die Vermutung äußerten, dass es sich dabei um Lily Bridges handelte. Natürlich war es für Sie günstig, das zu glauben. Es muss schließlich jedem einleuchten, dass Sie unmöglich in so kurzer Zeit am anderen Ende von Tokio einen ganzen Leichnam zerstückelt haben konnten.»
«Abgesehen davon, wollte ich das nicht einmal.»
«Nur sehen Sie, letzte Nacht wurde die Leiche Ihrer Freundin aufgefunden - in einem unbenutzten Schuppen hinter der Tankstelle, nur ein paar Minuten von Ihrer Wohnung entfernt»
So langsam begreife ich, worauf er hinauswill.
«Sie wurde erwürgt.»
Was ist das für ein Gestank? Ist es das verwesende Fleisch der Leichenteile aus der Bucht? Ist es der Geruch des Schuppens, in dem Lilys kalter Körper, im Schatten meines Hauses, eingeschlossen lag? Nein, es ist der Geruch meines Erbrochenen.
Die Polizisten sind zu sehr Profis, um sich durch mein Missgeschick aus dem Konzept bringen zu lassen. Ich blicke, mit nassen Augen Entschuldigung heischend, auf, aber das war noch nicht alles. Mein Freund - der Glas-Wasser-Freund -schafft es gerade noch rechtzeitig, mir einen Metallpapierkorb
zu reichen und den Arm wieder zurückzureißen, wenngleich nicht schnell genug, um nicht ein paar Spritzer abzubekommen. Und ich bin leer.
14
«Und das ist noch nicht alles.»
Ich hatte gehofft, das wäre es.
«Wir haben von Ihrer Beziehung zu Matsuda-san erfahren.»
«Ich kenne niemanden mit Namen Matsuda.»
«Erzählen Sie keine Lügen. Matsuda Teiji. Ein komischer Kauz, der in einem Nudellokal arbeitet. Sein Onkel sagt, er sei jetzt in Hokkaido.»
Teijis Onkel. Soutaro. Lucys einzig verbliebene Verbindung mit Teiji. Sie runzelte die Stirn und dachte an seine Geschichte, soviel sie davon wusste.
Soutaro wurde in Nord-Tokio geboren und wuchs dort auf, knapp außerhalb des Rings der Yamanote-Linie. In seiner Kindheit, vor dem Krieg, hatte dies zur Folge, dass er sich als Provinzler fühlte. Mittlerweile hatte sich die Stadt so ausgebreitet, dass seine Adresse eindeutig großstädtisch war. Er war stolz darauf, aus Tokio zu stammen. Die Leute aus Osaka waren zu laut, und die aus Nagoya waren Protzer und gaben zu viel Geld aus. Tokio war das Herz Japans.
Während des Krieges wurde Soutaro in die Berge von Gumma evakuiert und entging der Bombardierung Tokios, der der größte Teil seiner Familie zum Opfer fiel. Sein Vater und seine jüngere Schwester überlebten. Er kehrte nach Tokio zurück, fest entschlossen, an dessen Wiederaufbau mitzuwirken. Er und sein Vater machten sich an die Arbeit und eröffneten in der Nähe von Takadanobaba ein kleines Nudelrestaurant. Sou-taro war stolz darauf, dort zu arbeiten und seinen Mitgroßstädtern dieses elementarste aller Gerichte zu servieren.
Seine Schwester heiratete und zog nach Kyushu. Neunzehn Jahre später — Soutaro kamen sie lediglich wie neunzehn Monate vor — kehrte sie zurück. Sie hatte einen spindeldürren Sohn bei sich, der so aussah, als würde er nie in seinem Leben richtig zupacken können.
Soutaro
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