Jones, Susanna
nicht. Ich war bereits zu der Überzeugung gelangt, dass ich ihn nie wieder sehen würde. Aber ich merkte, dass ich mir wünschte, es sei Teiji. Ich hatte gerade eine Strumpfhose von der Leine genommen, und anstatt die fünf Schritte zum anderen Ende des Balkons und zum Wäschekorb zu laufen oder mir die Arbeit zu machen, sie wieder aufzuhängen, warf ich sie mir über die Schulter. Es steckte nichts dahinter, kein bewusster Entschluss. Ich deponierte sie einfach da, während ich an die Tür
ging-
In der Tür stand Lily. Sie schlotterte vor Nervosität. Ihre Hand flog zu ihrer Wange auf und wieder abwärts, mehrmals hintereinander. Ich starrte ihr in die Augen. Sie sagte ihr Sprüchlein auf; sie habe mir nicht wehtun wollen, sie habe sich nur von der aufregenden Ferienstimmung mitreißen lassen. Wenn überhaupt, dann habe sie es getan, um Andy zu verletzen, nicht dass er je davon erfahren würde, bewahre, aber das sei möglicherweise ihr unbewusster Hintergedanke dabei gewesen, glaube sie jedenfalls. Sie wisse zwar nicht genau, ob sie und Teiji eine gemeinsame Zukunft hätten, aber wenn ich trotz allem ihre Freundin bleiben wollte, dann würde sie Teiji aufgeben. Sie würde sofort zu ihm fahren und ihm sagen, dass es vorbei sei.
«Also einverstanden? Weiterhin Freundinnen?»
«Nein, keine Freundinnen. Tschüs.»
Und ich machte die Tür zu.
Mir ist nicht ganz klar, was in dem Moment in mir vorging. Ich weiß, dass ein Teil von mir Mitleid für sie empfand. Sie war schon ein jammervoller Anblick gewesen, wie sie da an meiner Schwelle stand und vor mir zitterte. Ich bin sicher, dass sie über das, was sie getan hatte, schockiert war, und ich erkannte durchaus an, dass es mutig von ihr gewesen war, mir so gegenüberzutreten. Ich weiß, dass mir diese Dinge durch den Kopf gingen. Aber ich weiß, dass ich auch empört war, und aufs Neue wütend. Sie würde Teiji aufgeben, wenn wir Freundinnen blieben, aber wenn nicht, dann nicht? Sie Teijis Namen aussprechen zu hören versetzte mich wieder in den Tokio-Bahnhof, in den Moment, als ich geschrien hatte und sie sich umgewandt und mich angestarrt hatten. Mein Mitleid für sie verflüchtigte sich. Ich hasste sie, hasste sie dafür, dass sie mir meinen Geliebten gestohlen und mich als Freundin im Stich gelassen hatte. Ich stand vor der geschlossenen Tür und konnte nicht begreifen, warum ich sie so glimpflich hatte davonkommen lassen. Meine Wut nahm immer weiter zu, bis ich wie von Sinnen losschrie. Ich weiß nicht, welche Worte ich meinen vier Wänden entgegenbrüllte, aber schon nach wenigen Sekunden wurde meine Stimme vom Staubsauger meiner Nachbarin übertönt.
Ich ging hinunter auf die Straße, um mir Lily vorzuknöpfen.
Sie war erst ein paar Minuten vorher gegangen, aber sie war nicht mehr da. Ich meinte, ein leises Gelächter zu hören, aber ich konnte nichts sehen, und kaum dass das Geräusch angefangen hatte, verstummte es auch wieder. Ich ging ein Stück weiter in Richtung Bahnhof. Dabei riss ich die Augen auf, soweit es ging, und benutzte sie wie Suchscheinwerfer, bestrich damit die Straße von einer Seite zur anderen, leuchtete in jede Ecke und jeden Winkel. Die Muskeln taten mir weh, aber bevor ich Lily nicht gefunden hatte, wollte ich weder blinzeln noch die Augen zusammenkneifen. Ich erreichte den Bahnhof, aber sie war nicht da. Ich kehrte um. Es war merkwürdig. Selbst wenn sie zum Bahnhof gerannt wäre, hätte sie unmöglich die Zeit gehabt, da hinzukommen, sich einen Fahrschein zu kaufen und in den Zug zu steigen. Es war eine lange, gerade Straße, und ich hätte sie vor mir sehen müssen. Ein paar Autos sausten vorbei, und dann verstummte die Welt. Ich hörte nur noch meine Schritte auf dem Pflaster.
Ich bestreite es gar nicht. Ich wollte sie töten. Ich wollte ihr den Hals umdrehen und auf sie eintreten, bis sie sich nicht mehr rührte. Ich wollte ihr zeigen, wie viel Schmerz ich ihr zum Ausgleich für ihren Verrat bereiten konnte. Aber ich hatte nicht vor, sie zu erstechen. Ich hatte nicht vor, sie zu zerstückeln und zu enthaupten und die Stücke in die Tokiobucht zu werfen. Ich dachte nicht einen Augenblick daran.
13
Die Polizeibeamten sind zurück . Jetzt ist ein neuer dabei. Er ist älter, größer, sieht knallhart aus. Auf seiner Namensplakette steht Suzuki (Schellenbaum).
«Wir untersuchen den Mord an einer jungen unschuldigen Frau.»
So unschuldig auch wieder nicht. «Ich weiß, aber ich hab's nicht getan. Ich hätte Lily das niemals
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