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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Usir-Adonai’s, und seine Auferstehung unter viel Flötengeschluchz und Freudengeschrei in ausführlicher Gegenwart erlebte, dann waltete ebenjene Aufhebung der Zeit im Geheimnis, die uns angeht, weil sie alle logische Anstößigkeit entfernt von einem Denken, welches in jeder Heimsuchung durch Wassersnot einfach die Sintflut erkannte.

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    Der Geschichte der Flut zur Seite steht diejenige des Großen Turmes. Gemeingut gleich jener, besaß sie örtliche Gegenwart da und dort und bot ebensoviel Anlaß zur Kulissenbildung und träumerischen Vertauschung wie sie. Daß zum Beispiel Joseph den Sonnen-Tempelturm von Babel, genannt Esagila oder Haus der Haupterhebung, schlechthin für den Großen Turm selber hielt, ist ebenso gewiß wie entschuldbar. Schon der Wanderer aus Ur hatte ihn zweifellos dafür gehalten, und nicht nur in Josephs Lebenskreis, sondern vor allem im Lande Sinear selbst hielt man ihn unbedingt dafür. Allen Chaldäern bedeutete der uralte und ungeheuere, nach ihrer Meinung von Bel, dem Schöpfer, selbst mit Hilfe der erst geschaffenen Schwarzköpfigen erbaute, von Chammuragasch, dem Gesetzgeber, aufgefrischte und ergänzte sieben Stockwerk hohe Terrassenturm Esagila’s, von dessen bunt emaillierter Pracht Joseph eine Vorstellung hatte, das Anschaulichwerden und gegenwärtige Erlebnis eines urweither übermachten Inbegriffs: Des Turmes, des bis an den Himmel ragenden Bauwerks von Menschenhand. Daß in Josephs besonderer Welt die Turm-Märe sich mit weiteren und eigentlich unzugehörigen Vorstellungen, mit der Idee der »Zerstreuung« etwa, verband, ist allein aus des Mondmannes persönlichem Verhalten, seiner Ärgernisnahme und Auswanderung zu erklären; denn für die Leute von Sinear hatten die Migdals oder Burgtürme ihrer Städte durchaus nichts mit jenem Begriff zu schaffen, sondern im Gegenteil hatte Chammuragasch, der Gesetzgeber, ausdrücklich aufschreiben lassen, er habe ihre Spitzen hoch gemacht, um das zerfahren auseinanderstrebende Volk unter seiner, des Gesandten, Herrschaft »wieder zusammenzubringen«. Aber der Mondmann hatte daran im Sinne der Gottheit Ärgernis genommen und sich gegen Nimrods königliche Sammlungsabsichten zerstreut; dadurch gewann in Josephs Heimat das Vergangene, das in Gestalt Esagila’s gegenwärtig war, einen Einschlag des Zukünftigen und der Prophetie: Ein Gericht schwebte über dem himmelan getürmten Trotzmal von Nimrods Königsvermessenheit; kein Ziegel sollte davon auf dem anderen bleiben und seine Erbauer verwirrt und zerstreut werden vom Herrn der Götter. So lehrte der alte Eliezer es den Sohn Jaakobs und wahrte so den Doppelsinn des »Einst«, seine Mischung aus Mär und Verkündigung, deren Ergebnis das zeitlos Gegenwärtige, der Turm der Chaldäer war.
    An ihn also heftete sich für Joseph die Kunde vom Großen Turm. Aber es ist ja klar, daß Esagila nur einer Dünenkulisse gleichkommt auf der unermeßlichen Wanderung nach diesem – eine wie andere mehr. Auch die Leute von Mizraim schauten den Turm als Gegenwart, in Gestalt von König Chufu’s erstaunlichem Wüstengrabmal. Und in Landen, von deren Existenz weder Joseph noch der alte Eliezer die blasseste Ahnung hatten, mitten in Amerika nämlich, hatten die Leute auch ihren »Turm« oder ihr Gleichnis des Turmes, die große Pyramide von Cholula, deren Ruinen Ausmaße zeigen, welche den Ärger und Neid König Chufu’s notwendig hätten erregen müssen. Die Leute von Cholula haben immer bestritten, dies Riesenwerk selbst errichtet zu haben. Sie erklärten es wirklich für Riesenwerk: Einwanderer aus dem Osten, versicherten sie, überlegenes Volk, das von trunkener Sehnsucht nach der Sonne erfüllt gewesen, hätten es mit Begeisterungskraft aus Ton und Erdharz aufgetürmt, um sich dem geliebten Gestirn zu nähern. Mehreres spricht für die Vermutung, daß die fortgeschrittenen Fremden atlantische Kolonisten gewesen sind, und es scheint, daß diese Sonnenverehrer und eingefleischten Astronomen überall, wohin sie kamen, nichts Eiligeres zu tun hatten, als vor den Augen der staunenden Ureinwohner mächtige Gestirnwarten zu errichten, nach dem Vorbilde heimischer Hochbauten und namentlich des ragenden Götterberges inmitten ihres Landes, von welchem Plato erzählt. In Atlantis also mag das Urbild des Großen Turmes zu suchen sein. Jedenfalls vermögen wir seine Geschichte nicht weiter zurückzuverfolgen und beenden hier unsere Studien über diesen seltsamen Gegenstand.

7
    Wo aber lag das Paradies? Der

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