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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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beieinander entspringen.
    Nicht ohne vernünftigen Beifall vernimmt man die Lehre. Denn falls, wie ehrwürdigste Nachricht es will, der »Phrat« oder Euphrat im Paradiese entsprang, so ist die Annahme nicht haltbar, daß dieses in seinem Mündungsgebiet gelegen gewesen sei. Mit solcher Einsicht aber und indem man dem Lande Armenien die Palme reichte, wäre höchstens der Schritt zur nächstfolgenden Wahrheit getan; man hielte eben nur eine Kulisse und Verwechselung weiter.
    Vier Seiten, so lehrte schon der alte Eliezer es den Joseph, hat Gott der Welt verliehen: Morgen, Abend, Mittag und Mitternacht, bewacht am Stuhle der Herrschaft selbst von vier heiligen Tieren und vier Engelswächtern, welche auf diese Grundbedingung ein unbewegliches Auge haben. Wendeten nicht auch die unterägyptischen Pyramiden ihre mit glänzendem Zement bedeckten Breitseiten genau nach den vier Weltrichtungen? So war die Anordnung der Paradiesesströme gedacht. Sie sind ihrem Laufe nach gleich Schlangen vorzustellen, deren Schwanzspitzen sich berühren und deren Mündungshäupter weit voneinander liegen, so daß sie denn nach den vier Himmelsrichtungen auseinanderstreben. Das nun ist eine offenkundige Übertragung. Es ist die nach Vorderasien verlegte Wiederholung einer Geographie, die uns von anderer, abhanden gekommener Stelle her wohlvertraut ist: von Atlantis nämlich, woselbst, nach Plato’s Mitteilung und Beschreibung, von dem inmitten der Insel aufragenden Götterberge dieselben vier Ströme auf dieselbe Art, das heißt kreuzweise, nach den vier Weltseiten ausgingen. Jeder gelehrte Streit über der »Heuptwasser« erdkundliche Bedeutung und über die Stätte des Gartens selbst hat das beschwichtigende Gepräge des Müßigen gewonnen durch eine Zurückführung, aus der erhellt, daß der da und dort angesiedelte Paradiesgedanke seine Anschaulichkeit aus der Erinnerung der Völker an ein entschwundenes Land bezog, wo eine weise fortgeschrittene Menschheit in ebenso milder wie heiliger Ordnung glückselige Zeiten verbracht hatte. Daß hier eine Vermengung der Überlieferung vom eigentlichen Paradiese mit der Sage eines Goldenen Zeitalters der Menschheit walte, ist nicht zu verkennen. Mit vielem Recht, wie es scheint, nimmt die Erinnerung an ein solches auf das hesperische Land bezug, wo, wenn nicht alle Nachrichten trügen, ein großes Volk unter Bedingungen von nicht wieder erreichter Gunst sein kluges und frommes Wesen getrieben hat. Der »Garten in Eden« aber, die Stätte der Heimat und des Falles, war es mitnichten; auf der zeitlich-räumlichen Wanderung nach dem Paradiese bildet es nur ein kulissenhaft scheinbares Wegesziel; denn den Urmenschen, den Adamiten, sucht die erdgeschichtliche Altertumskunde in Zeiten und Räumen, deren Untergang vor der Besiedelung von Atlantis liegt.
    Blendwerk und hinlockende Fopperei einer Wanderschaft! Denn war es möglich, war es verzeihlich, wenn auch betrüglich, das Land der goldenen Äpfel, in dem die vier Ströme gingen, dem Paradiese gleichzusetzen, – wie sollte ein solcher Irrtum, noch bei dem besten Willen zur Selbsttäuschung, statthaben können angesichts der lemurischen Welt, welche die nächste, die fernste Vorlagerung bildet und wo die gequälte Larve des Menschenwesens, ein Bild, in welchem das eigene wiederzuerkennen der hübsche und schöne Joseph sich mit begreiflichster Entrüstung geweigert haben würde, im Verzweiflungskampf mit gepanzerten Fleischgebirgen von Raubmolchen und fliegenden Echsen seinen Lust- und Angsttraum vom Leben erlitt? Das war der »Garten in Eden« nicht, es war die Hölle. Vielmehr es war der erste, verfluchte Zustand nach dem Fall. Nicht hier, nicht am Anfange von Zeit und Raum wurde die Frucht vom Baume der Lust und des Todes gebrochen und gekostet. Das liegt vorher. Der Brunnen der Zeiten erweist sich als ausgelotet, bevor das End- und Anfangsziel erreicht wird, das wir erstreben; die Geschichte des Menschen ist älter als die materielle Welt, die seines Willens Werk ist, älter als das Leben, das auf seinem Willen steht.

8
    Eine lange, auf wahrster Selbstempfindung des Menschen beruhende Denküberlieferung, entsprungen in frühen Tagen, als Erbgut eingegangen in die Religionen, Prophetien und einander ablösenden Erkenntnislehren des Ostens, in Avesta, Islam, Manichäertum, Gnosis und Hellenistik, betrifft die Gestalt des ersten oder des vollkommenen Menschen, des hebräischen adam qadmon, zu fassen als ein Jünglingswesen aus reinem Licht,

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