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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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geschaffen vor Weltbeginn als Urbild und Inbegriff der Menschheit, an welches sich wandelbare, doch im Entscheidenden übereinstimmende Lehren und Berichte knüpfen. Der Urmensch, heißt es, sei zu allem Anfange der erkorene Streiter Gottes im Kampfe gegen das in die junge Schöpfung eindringende Böse gewesen, sei aber dabei zu Schaden gekommen, von den Dämonen gefesselt, in die Materie verhaftet, seinem Ursprung entfremdet, durch einen zweiten Abgesandten der Gottheit jedoch, der geheimnisvollerweise wieder er selbst, sein eigenes höheres Selbst gewesen sei, aus der Finsternis der irdisch-leiblichen Existenz befreit und in die Lichtwelt zurückgeführt worden, wobei er aber Teile seines Lichtes habe zurücklassen müssen, die zur Bildung der materiellen Welt und der Erdenmenschen mitbenutzt worden seien: Wunderbare Geschichten, in denen ein freilich schon hörbares erlösungsreligiöses Element noch hinter kosmogonischen Absichten zurücktritt; denn wir hören, der urmenschliche Gottessohn habe in seinem Lichtkörper die sieben Metalle enthalten, denen die sieben Planeten entsprechen und aus denen die Welt aufgebaut sei. Dies wird auch so ausgedrückt, daß jenes aus dem väterlichen Urgrunde hervorgegangene Licht-Menschenwesen durch die sieben Planetensphären herabgestiegen sei und von jedem der Sphärenherrscher Anteil an dessen Natur erhalten habe. Dann aber habe er niederschauend sein Spiegelbild in der Materie erblickt, habe es liebgewonnen, sich zu ihm hinabgelassen und sei so in die Bande der niederen Natur geraten. Eben hierdurch erkläre sich die Doppelnatur des Menschen, welche die Merkmale göttlicher Herkunft und wesentlicher Freiheit mit schwerer Verfesselung in die niedere Welt unentwirrbar vereinige.
    In diesem narzissischen Bilde voll tragischer Anmut beginnt der Sinn der Überlieferung sich zu reinigen; denn solche Sinnesreinigung vollzieht sich in dem Augenblick, wo der Niederstieg des Gotteskindes aus seiner Lichtwelt in die Natur aufhört, bloße Gehorsamsfolge eines höheren Auftrages, folglich schuldlos zu sein, und dafür das Gepräge einer selbständig-freiwilligen Sehnsuchtstat, also das der Schuldhaftigkeit gewinnt. Zugleich beginnt die Bedeutung jenes »zweiten Abgesandten« sich zu enträtseln, der, mit dem Lichtmenschen in höherem Sinne identisch, gekommen sei, ihn aus der Verstrickung ins Finstere wieder zu befreien und heimzuführen. Denn nun schreitet die Lehre zu einer Scheidung der Welt in die drei personalen Elemente der Materie, der Seele und des Geistes fort, zwischen denen, im Zusammenspiel mit der Gottheit, jener Roman sich entspinnt, dessen eigentlicher Held die abenteuernde und im Abenteuer schöpferische Seele des Menschen ist und der, ein voller Mythus in seiner Vereinigung von Ur-Kunde und Prophetie des Letzten, über den wahren Ort des Paradieses und die Geschichte des »Falles« klare Auskunft gibt.
    Es wird ausgesagt, daß die Seele, das ist: das Urmenschliche, wie die Materie, eines der anfänglich gesetzten Prinzipien war und daß sie Leben, aber kein Wissen besaß. Dies in der Tat so wenig, daß sie, die in Gottes Nähe in einer Hochwelt der Ruhe und des Glückes wohnte, sich von der Neigung – dies Wort im genauen Richtungssinne genommen – zur noch formlosen Materie beunruhigen und verwirren ließ, begierig, sich mit ihr zu vermischen und Formen aus ihr hervorzurufen, an denen sie körperliche Lüste erlangen könnte. Lust und Pein ihrer Leidenschaft aber nahmen, nachdem die Seele sich zum Niedersteigen aus ihrer Heimat hatte verführen lassen, nicht ab, sondern verstärkten sich sogar noch zur Qual durch den Umstand, daß die Materie, eigenwillig und träge, in ihrem gestaltlosen Urzustande durchaus zu verharren wünschte, schlechterdings nichts davon wissen wollte, zum Vergnügen der Seele Form anzunehmen, und der Gestaltung durch sie die erdenklichsten Widerstände entgegensetzte. Hier war es Gott, der eingriff, da er wohl fand, daß ihm bei solchem Stande der Dinge nichts übrigbleibe, als der Seele, seiner abwegigen Mitgegebenheit, zu Hilfe zu kommen. In ihrem Liebesringen mit der widerspenstigen Materie unterstützte er sie; er schuf die Welt, das heißt: dem Urmenschlichen behilflich, brachte er feste, langlebige Formen in ihr hervor, damit die Seele an diesen Formen körperliche Lüste erlange und Menschen erzeuge. Gleich danach aber, in weiterer Verfolgung eines überlegen ersonnenen Planes, tat er ein Zweites. Er sandte, so heißt es wörtlich in

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