Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
dem Referat, das wir anziehen, aus der Substanz seiner Göttlichkeit den Geist zum Menschen in diese Welt, damit er die Seele im Gehäuse des Menschen aus ihrem Schlafe wecke und ihr auf Befehl seines Vaters zeige, daß diese Welt nicht ihre Statt und ihr sinnliches Leidenschaftsunternehmen eine Sünde gewesen sei, als deren Folge die Erschaffung dieser Welt betrachtet werden müsse. Was in Wahrheit der Geist der in die Materie verhafteten Menschenseele beständig klarzumachen sucht und woran er sie immerdar zu mahnen hat, ist eben dies, daß erst durch ihre törichte Vermischung mit der Materie die Bildung der Welt erfolgt ist und daß, wenn sie sich von dieser trennt, der Formenwelt alsbald keine Existenz mehr bleibt. Die Seele zu dieser Einsicht zu erwecken, ist also der Auftrag des Geistes, und es geht sein Hoffen und Betreiben dahin, die leidenschaftliche Seele werde, von diesem ganzen Sachverhalt in Kenntnis gesetzt, die heimatliche Hochwelt endlich wiedererkennen, sich die niedere Welt aus dem Sinne schlagen und ihre eigene, die Sphäre der Ruhe und des Glückes wieder erstreben, um dorthin heimzugelangen. In demselben Augenblick, wo dies geschieht, wird diese niedere Welt sich aufheben; die Materie wird ihren trägen Eigenwillen zurückerhalten; sie wird aus der Formgebundenheit gelöst werden, sich der Formlosigkeit wieder erfreuen dürfen wie in Urewigkeit und also ebenfalls auf ihre Art wieder glücklich sein.
So weit die Lehre und der Roman der Seele. Es ist kein Zweifel, daß hier das letzte »Zurück« erreicht, die höchste Vergangenheit des Menschen gewonnen, das Paradies bestimmt und die Geschichte des Sündenfalls, der Erkenntnis und des Todes auf ihre reine Wahrheitsform zurückgeführt ist. Die Urmenschenseele ist das Älteste, genauer ein Ältestes, denn sie war immer, vor der Zeit und den Formen, wie Gott immer war und auch die Materie. Was den Geist betrifft, in dem wir den zur Heimführung der Seele befohlenen »zweiten Abgesandten« erkennen, so ist er ihr zwar auf unbestimmte Art hochverwandt, doch nicht sie selbst noch einmal, denn er ist jünger: eine Aussendung Gottes zum Zweck ihrer Belehrung und Befreiung und damit zur Aufhebung der Formenwelt. Wenn in gewissen Wendungen der Lehre die höhere Einerleiheit von Seele und Geist behauptet oder allegorisch angedeutet ist, so hat das gleichwohl seinen guten Sinn, welcher sich nicht etwa darin erschöpft, daß die Urmenschenseele anfänglich als Streiter Gottes gegen das Böse in der Welt gefaßt und die ihr zugeschriebene Rolle also derjenigen sehr verwandt ist, welche später dem zu ihrer eignen Befreiung entsandten Geiste zufällt. Vielmehr läßt die Lehre es an der Erläuterung jenes Sinnes darum fehlen, weil sie nicht zur vollständigen Ausgestaltung der Rolle gelangt, die der Geist in dem Roman der Seele spielt, und nach dieser Richtung deutlich der Ergänzung bedarf.
Der Auftrag des Geistes in dieser aus der hochzeitlichen Erkenntnis von Seele und Materie entstandenen Welt der Formen und des Todes ist vollkommen eindeutig und klar umrissen. Seine Sendung besteht darin, der selbstvergessen in Form und Tod verstrickten Seele das Gedächtnis ihrer höheren Herkunft zu wecken; sie zu überzeugen, daß es ein Fehler war, sich mit der Materie einzulassen und so die Welt hervorzurufen; endlich ihr das Heimweh bis zu dem Grade zu verstärken, daß sie sich eines Tages völlig aus Weh und Wollust löst und nach Hause schwebt – womit ohne weiteres das Ende der Welt erreicht, der Materie ihre alte Freiheit zurückgegeben und der Tod aus der Welt geschafft wäre. Wie es nun aber geschieht, daß der Gesandte eines Königreiches bei einem anderen, feindlichen, wenn er sich lange dort aufhält, im Sinne seines eigenen Landes der Verderbnis verfällt, indem er nämlich auf dem Wege der Einbürgerung und der Angleichung und Abfärbung unvermerkt in die Denkweise und auf den Interessenstandpunkt des feindlichen hinübergleitet, so daß er zur Vertretung der heimischen Interessen untauglich wird und abberufen werden muß: so oder ähnlich ergeht es in seiner Sendung dem Geiste. Je länger sie währt, je länger er sich hier unten diplomatisch betätigt, desto deutlicher erfährt – vermöge jener Gesandtenverderbnis – seine Tätigkeit einen inneren Bruch, der in höherer Sphäre kaum verborgen geblieben sein dürfte und aller Mutmaßung nach schon zu seiner Abberufung geführt hätte, wenn die Frage eines zweckmäßigen Ersatzes leichter zu lösen
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