Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
vorstellt.
Hierfür spricht geradezu alles, in der Hauptsache aber dies, daß Gott sich über die sehnsüchtige Handlungsweise der Seele nicht etwa erzürnte, sie nicht verstieß oder ihr irgendeine Strafe zufügte, welche über das Maß von Leid, das sie sich selber freiwillig zuzog und das freilich durch Lust aufgewogen wurde, hinausgegangen wäre. Vielmehr ist deutlich, daß er beim Anblick der Passion der Seele, wenn nicht von Sympathie, so doch von Mitleid ergriffen wurde; denn sofort kam er ihr ungerufen zu Hilfe, griff persönlich in ihren erkennenden Liebeskampf mit der Materie ein, indem er die Todeswelt der Formen daraus hervorgehen ließ, damit die Seele ihre Lust daran finden könne: ein Verhalten Gottes, worin in der Tat Mitleid von Sympathie sehr schwer oder überhaupt nicht zu unterscheiden ist.
Von Sünde im Sinn einer Verletzung Gottes und seines ausgesprochenen Willens kann in solchem Zusammenhang nur halb zutreffend gesprochen werden, besonders wenn man die eigentümliche Angelegentlichkeit des Verhältnisses Gottes zu dem Geschlecht in Erwägung zieht, das aus der Vermischung von Seele und Materie entstanden war, dem Menschenwesen, welches unverkennbar und aus guten Gründen von Anfang an ein Gegenstand der Eifersucht der Engel war. Auf Joseph machte es tiefen Eindruck, wenn der alte Eliezer ihm von diesen Beziehungen sprach, und dieser sprach davon ganz in dem Sinn, wie wir es noch heute in hebräischen Kommentaren zur Urgeschichte lesen. Hätte, heißt es dort, Gott nicht verschwiegen und weislich für sich behalten, daß nicht nur Gerechte, sondern auch Böse vom Menschen herkommen würden, so wäre vom Reich der Strenge die Erschaffung des Menschen gar nicht zugelassen worden. Solche Worte gewähren einen bedeutenden Einblick in die Verhältnisse. Sie lehren vor allem, daß »Strenge« nicht sowohl Gottes eigene Sache, als vielmehr die seiner Umgebung ist, – von der er in einem gewissen, wenn auch natürlich nicht ausschlaggebenden Grade abhängig zu sein scheint, da er es, aus Besorgnis, es möchten ihm von dieser Seite Schwierigkeiten gemacht werden, lieber unterließ, ihr über das, was im Werke war, reinen Wein einzuschenken, und nur einiges anzeigte, anderes aber verschwieg. Deutet aber dies nicht viel mehr darauf hin, daß ihm an der Weltschöpfung gelegen war, als darauf, daß sie ihm entgegen gewesen wäre? Wenn also die Seele zu ihrem Unternehmen von Gott nicht geradezu aufgefordert und ermutigt worden sein sollte, – gegen seinen Sinn handelte sie keineswegs, sondern nur gegen den der Engel, deren wenig freundliche Gesinnung gegen den Menschen freilich von vornherein feststeht. Gottes Schöpfung der guten und bösen Lebenswelt und seine Teilnahme für sie erscheint ihnen als majestätische Schrulle, über die sie pikiert sind, da sie, wahrscheinlich mit mehr Recht als Unrecht, Überdruß an ihrer lobsingenden Reinheit dahinter vermuten. Erstaunte und vorwurfsvolle Fragen, wie: »Was ist der Mensch, o Herr, daß du sein gedenkest?«, schweben ihnen beständig auf den Lippen, und Gott antwortet ihnen schonend, begütigend, ausweichend, zuweilen auch gereizt und in einem für sie entschieden demütigenden Sinn. Der Sturz Semaels, eines sehr großen Fürsten unter den Engeln, da er zwölf Paar Flügel besaß, die heiligen Tiere und die Seraphim aber nur je sechs, ist gewiß nicht einfach zu begründen, muß aber unmittelbar auf diese Konflikte zurückgeleitet werden, wie es unter Josephs gespannter Aufmerksamkeit aus Eliezers Belehrungen hervorging. Semael war es namentlich immer gewesen, der die Empfindlichkeit der Engel gegen den Menschen, oder eigentlich über Gottes Teilnahme für diesen, geschürt hatte; und als eines Tages Gott die Heerscharen aufforderte, sich vor Adam, seiner Vernunft wegen und weil er alle Dinge bei Namen zu nennen wußte, zu verbeugen, kamen zwar sie, wenn auch teils mit heimlichem Lächeln, teils mit zusammengezogenen Brauen, dieser Anordnung nach, Semael aber tat es nicht. Denn er erklärte mit wilder Offenheit, es sei Unsinn, daß die aus dem Glanz der Herrlichkeit Erschaffenen vor dem aus Staub und Erde Gemachten niedersänken, – und eben bei dieser Gelegenheit wurde er gestürzt, was nach Eliezers Beschreibung von weitem ausgesehen hatte, wie wenn ein Stern fällt. Aber war es auch den übrigen Engeln gewiß auf immer in die Glieder gefahren, und ließen sie von da an in betreff des Menschen äußerste Vorsicht walten, so bleibt doch klar und
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