Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Jaakob verwehrte, in städtisch gegründeter Seßhaftigkeit zu leben; und wenn der kleine Joseph, der nicht ohne Sinn für das weltlich Stattliche, ja Pomphafte war, das zuweilen bedauerte, so nehmen wir es wie andere Züge seines Charakters hin, mit denen wieder andere versöhnen. Was uns betrifft, die wir ausziehen, von alldem zu erzählen und uns somit, ohne äußere Not, in ein unabsehbares Abenteuer zu stürzen (dies »Stürzen« im genauen Richtungssinne genommen): so wollen wir kein Hehl machen aus unserem natürlichen und unbegrenzten Verständnis für des Alten unruhigen Widerwillen gegen die Vorstellung des Bleibens und festen Hausens. Kennen denn wir dergleichen? Ist nicht auch uns Rastlosigkeit bestimmt und ein Herz gegeben, das von Ruhe nicht weiß? Des Erzählers Gestirn – ist es nicht der Mond, der Herr des Weges, der Wanderer, der in seinen Stationen zieht, aus jeder sich wieder lösend? Wer erzählt, erwandert unter Abenteuern manche Station; aber nur zeltender Weise verharrt er dort, weiterer Wegesweisung gewärtig, und bald fühlt er sein Herz klopfen, teils vor Lust, teils auch vor Furcht und Fleischesbangen, aber zum Zeichen jedenfalls, daß es schon weitergeht, in neue, genau zu durchlebende Abenteuer, mit unabsehbaren Einzelheiten, nach dem Willen des unruhigen Geistes.
Schon längst sind wir unterwegs und haben die Station, wo wir flüchtig verweilten, schon weit zurückgelassen, sie schon vergessen, uns schon mit der Welt, der wir entgegenblicken, die uns entgegenblickt, nach Reisendenart von weitem in Beziehung gesetzt, um nicht ganz ungeschickte und stiere Fremde zu sein, wenn sie uns aufnimmt. Währt sie schon allzu lange, die Fahrt? Kein Wunder, denn diesmal ist es eine Höllenfahrt! Es geht hinab und tief hinab unter Tag mit uns Erbleichenden, hinab in den nie erloteten Brunnenschlund der Vergangenheit.
Warum erbleichen wir da? Warum klopft uns das Herz, nicht erst seit dem Aufbruch, sondern schon seit Empfang der ersten Weisung zu diesem Aufbruch, vor Lust nicht nur, sondern sehr stark auch vor Fleischesbangen? Ist nicht das Vergangene Element und Lebensluft des Erzählers, ihm als Zeitfall vertraut und gemäß wie dem Fisch das Wasser? Ja, schon gut. Aber warum will unser neugierig-feiges Herz sich nicht stillen lassen von dieser Vernunft? Doch wohl, weil das Element des Vergangenen, von dem uns dahin und weit dahin tragen zu lassen wir freilich gewohnt sind, ein anderes ist als die Vergangenheit, in die wir nun mit Leibziehen fahren, – die Vergangenheit des Lebens, die gewesene, die verstorbene Welt, der auch unser Leben einmal tiefer und tiefer gehören soll, der seine Anfänge schon in ziemlicher Tiefe gehören. Sterben, das heißt freilich die Zeit verlieren und aus ihr fahren, aber es heißt dafür Ewigkeit gewinnen und Allgegenwart, also erst recht das Leben. Denn das Wesen des Lebens ist Gegenwart, und nur mythischer Weise stellt sein Geheimnis sich in den Zeitformen der Vergangenheit und der Zukunft dar. Dies ist gleichsam des Lebens volkstümliche Art, sich zu offenbaren, während das Geheimnis den Eingeweihten gehört. Das Volk sei belehrt, daß die Seele wandere. Dem Wissenden ist bekannt, daß die Lehre nur das Kleid des Geheimnisses ist von der Allgegenwart der Seele und daß ihr das ganze Leben gehört, wenn der Tod ihr Einzelgefängnis brach. Wir kosten vom Tode und seiner Erkenntnis, wenn wir als erzählende Abenteurer in die Vergangenheit fahren: daher unsre Lust und unser bleiches Bangen. Aber lebhafter ist die Lust, und wir verleugnen nicht, daß sie vom Fleische ist, denn ihr Gegenstand ist der erste und letzte unseres Redens und Fragens und all unserer Angelegentlichkeit: das Menschenwesen, das wir in der Unterwelt und im Tode aufsuchen, gleichwie Ischtar den Tammuz dort suchte und Eset den Usiri, um es zu erkennen dort, wo das Vergangene ist.
Denn es ist, ist immer, möge des Volkes Redeweise auch lauten: Es war. So spricht der Mythus, der nur das Kleid des Geheimnisses ist; aber des Geheimnisses Feierkleid ist das Fest, das wiederkehrende, das die Zeitfälle überspannt und das Gewesene und Zukünftige seiend macht für die Sinne des Volks. Was Wunder, daß im Feste immer das Menschliche aufgärte und unter Zustimmung der Sitte unzüchtig ausartete, da darin Tod und Leben einander erkennen? – Fest der Erzählung, du bist des Lebensgeheimnisses Feierkleid, denn du stellst Zeitlosigkeit her für des Volkes Sinne und beschwörst den Mythus, daß er sich
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