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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Gottesblick aber vor allem, unter welchem mein Leib sich veränderte und meine Brüste wuchsen zu Liebesfrüchten? Schlafe – bei – mir! Schenke, schenke mir deine Jugend und Herrlichkeit, und ich will dir schenken an Wonne, was du dir nicht träumen läßt, ich weiß, was ich sage! Laß uns unsere Häupter und Füße zusammentun, daß wir es gut haben überschwenglich und ineinander ersterben, denn ich ertrag’ es nicht länger, daß wir da und dort leben als Zweie!«
    So die Frau, völlig hingerissen; und wir haben nicht nachgeahmt, wie ihr Gebet sich in Wirklichkeit ausnahm durch das Gelispel ihrer zerspaltenen Zunge, wobei jede Silbe ihr schneidend wehe tat, und doch lispelte sie dies alles in einem Zuge auf seinem Arm, denn Frauen ertragen viel Schmerzen. Das aber soll man wissen, sich einbilden und fortan für immer festhalten, daß sie das Wort der Verkennung, das Lapidarwort der Überlieferung nicht heilen Mundes und wie ein Erwachsener sprach, sondern unter Schmerzensschnitten und in der Sprache der kleinen Kinder, so daß sie lallte: »Slafe bei mir!« Denn darum hatte sie ihre Zunge so zugerichtet, daß es so sei.
    Und Joseph? Er saß und überflog die sieben Gründe, überflog sie vorwärts und rückwärts. Daß nicht sein Blut in breiter Welle an den Strand seiner Seele geschlagen wäre, wollen wir nicht behaupten, aber die Gegengründe waren zu siebenen und hielten stand. Zum Lobe sei es ihm angerechnet, daß er nicht hart auf sie pochte und den Verachtungsvollen spielte gegen die Hexe, weil sie ihn versuchte, sich mit Gott zu überwerfen, sondern mild und gut zu ihr war und sie in liebreicher Ehrfurcht zu trösten suchte, obgleich darin, wie jeder Einsichtige zugeben wird, eine große Gefahr für ihn lag; denn wo ist des Tröstens ein Ende in solchem Fall? Nicht einmal seinen Arm entzog er ihr rauh, ungeachtet der feuchten Hitze des Gelispels und der damit verbundenen Lippenstöße, die darauf niedergingen, sondern ließ ihn gefaßt, wo er war, bis sie ausgestammelt, und sogar etwas länger noch, während er sagte:
    »Herrin, um Gott, was tut dein Angesicht da, und was sprichst du im Wundfieber, – komm zu dir selbst, ich bitte dich, du vergissest ja dich und mich! Vor allem – deine Stube ist offen, bedenke das, man könnte uns sehen, sei es ein Zwerg oder ein Vollwüchsiger, und ausspähen, wo du dein Haupt hast, – verzeih, ich darf das nicht dulden, ich muß dir jetzt, wenn du erlaubst, meinen Arm entziehen und zusehen, daß nicht von draußen ...«
    Er tat, wie er sagte. Sie aber, mit Heftigkeit, erhob sich ebenfalls von der Stelle, wo sein Arm nicht mehr war, und hoch aufgerichtet, mit blitzenden Augen und plötzlich volltönender Stimme, rief sie Worte, die ihn hätten lehren können, mit wem er’s zu tun und wessen er sich allenfalls von ihr zu versehen hatte, die noch soeben gebetet wie eine Gebrochene, nun aber die Klaue zu heben schien wie ein Löwenweib und für den Augenblick auch gar nicht mehr lispelte; denn wenn sie wollte und die Schmerzen ertrug, so konnte sie schon ihre Zunge zum Rechten zwingen, und so rief sie mit wilder Genauigkeit:
    »Laß doch offen die Halle und offen den Blick für die ganze Welt auf mich und dich, den ich liebe! Fürchtest du dich? Ich fürchte nicht Götter, noch Zwerge, noch Menschen, daß sie mich sehen mit dir und unsre Gemeinschaft bespähen. Mögen sie, mögen sie kommen zu Hauf und uns sehen! Wie einen Plunder werfe ich ihnen meine Scheu und Schämigkeit vor die Füße, denn nichts anderes sind mir diese: ein Plunder und armer Quark gegen das zwischen mir und dir und gegen meiner Seele weltvergessene Not! Mich fürchten? Ich allein bin fürchterlich in meiner Liebe! Isis bin ich, und wer uns zusieht, nach dem werde ich mich umwenden von dir und ihm einen so fürchterlichen Blick zuwerfen, daß er Todes verbleicht auf der Stelle!«
    So Mut als Löwin, gänzlich uneingedenk ihrer Wunde und der Schmerzensschnitte, die jedes gewaltsame Wort ihr verursachte. Er aber zog die Gehänge vor die Räume zwischen den Pfeilern und sagte:
    »Laß mich Besonnenheit üben für dich, da mir gegeben ist, vorauszusehen, was da würde, wenn man uns ausspähte, und mir heilig sein muß, was du hinwerfen willst der Welt, die es nicht wert ist, und nicht einmal wert ist sie, zu sterben am Zorn deines Blickes.«
    Als er aber nach der Verhüllung wieder zu ihr trat im Schatten des Zimmers, war sie schon keine Löwin mehr, sondern wieder das Lispelkind und dabei schlau

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