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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Dürre der gebrechlichen Schulterblätter dazu stand. Die Schultern selbst erschienen zart, schmal, ja kindlich-rührend, und die Arme daran hatten an Fülle stark eingebüßt, sie waren fast dünn geworden. Ganz anders stand es mit den Schenkeln, die, wiederum in einem, man möchte sagen, unerlaubten Gegensatz zu den oberen Extremitäten, sich über Gebühr stark und blühend entwickelt hatten, dergestalt, daß die Einbildung, sie schmiegten sich an einen Besenstiel, über welchen gebückt, mit schwachen Ärmchen sich an ihn klammernd, die Frau bei dürrem Rücken und strotzenden Brüsten zu Berge ritt, – daß, sagen wir, diese Einbildung nicht nur nahelag, sondern sich unabweisbar aufdrängte. Dabei nämlich noch kam ihr das vom schwarzen Pudelhaar umlockte Antlitz zu Hilfe, dies sattelnasige, schattenwangige Antlitz, worin ein Widerspruch, für den erst hier der rechte Name gefunden werden konnte, schon lange geherrscht, aber erst jetzt seine höchste Ausprägung gewonnen hatte: der durchaus hexenhafte Widerspruch zwischen dem strengen, ja drohend finsteren Ausdruck der Augen und der gewagten Schlängelei des winkeltiefen Mundes, – dieser ergreifende Widerspruch, der, auf seinen Gipfel gekommen, dem Gesicht die krankhaft maskenartige Spannung verlieh, welche wahrscheinlich durch den in der zerbissenen Zunge brennenden Schmerz verstärkt wurde. Unter den Gründen aber, weshalb sie sich dort hineingebissen, war tatsächlich auch der gewesen, daß sie wußte, sie würde lispeln müssen danach wie ein unschuldig Kind, und dieses Kinderlispeln würde vielleicht die ihr sehr wohlbekannte Hexenhaftigkeit ihres neuen Körpers beschönigen und verhüllen.
    Die Beklommenheit läßt sich denken, die der Urheber dieser Veränderung bei ihrem Anblick empfand. Damals zuerst stieg ein Begreifen ihm auf, wie leichtsinnig er gehandelt, indem er das Flehen des reinen Freundchens in den Wind geschlagen und die Herrin nicht lieber gemieden, sondern es dahin hatte kommen lassen, daß sie aus einer Schwanenjungfrau zur Hexe geworden war. Die Albernheit seines pädagogischen Heilsplanes kam ihm zum Bewußtsein, und zum ersten Male mochte ihm dämmern, daß sein Verhalten in dieser Sache des neuen Lebens dem einstigen gegen die Brüder an Straffälligkeit nicht nachstand. Diese Einsicht, die aus Ahnung zu voller Erkenntnis reifen sollte, erklärt manches Spätere.
    Vorderhand verbargen sein schlechtes Gewissen und seine erregte Rührung über die Verwandlung der Herrin zur Liebesvettel sich hinter der besonderen Ehrerbietung, ja Anbetung, mit der er sie begrüßte und vor ihr sprach, indem er wohl oder übel den sträflich albernen Heilsplan weiterverfolgte und ihr an Hand von mitgebrachten Rechnungsrollen über Verbrauch und Belieferung des Frauenhauses mit den und den Lebens- und Genußmitteln, auch über Entlassungen und Neueinstellungen unter der Dienerschaft einiges vortrug. Dies verhinderte, daß er das wunde Gebrechen ihrer Zunge gleich bemerkte; denn sie hörte ihm nur zu mit ihrer überspannten Miene und äußerte sich fast nicht. Da sie sich aber zum Brettspiel setzten, zu seiten des schön geschnitzten Spieltischchens, aufs Ruhebett aus Ebenholz und Elfenbein sie, er auf ein rinderbeiniges Taburett, die Steine aufstellten, die die Gestalt liegender Löwen hatten, und sich über das Spiel verständigten, konnte es nicht länger fehlen, daß er, zu verstärkter Beklommenheit, ihres Lallens gewahr wurde; und nachdem er es ein paarmal wahrgenommen und nicht länger zweifeln konnte, erlaubte er sich die zarte Anfrage und sprach:
    »Wie ist mir, Herrin, und wie kann das sein? Mir scheint, du lallst ein klein wenig beim Reden?«
    Und mußte zur Antwort vernehmen, daß die Frau »Merzen« leide an ihrer »Tunge«; sie habe sich weh detan in der Nacht und sich in die Tunge debissen, der Vorteher solle nicht acht darauf deben!
    So sprach sie, – wir geben die wehen Ausfälle und Kindlichkeiten ihrer Redeweise in unserer Sprache wieder, statt in der ihren, aber entsprechend ließ sie sich in dieser vernehmen; und Joseph, tief erschrocken, nahm die Hände vom Spiel und wollte keinen Stein mehr anrühren, ehe sie sich gepflegt und einen Balsam in den Mund genommen hätte, den anzurühren Chun-Anup, dem Salbader, sofort befohlen sein sollte. Sie aber wollte davon nichts wissen und warf ihm spottend vor, daß er Ausflüchte suche und sich drücken wolle von der Partie, die nach der Eröffnung schon sehr mißlich für ihn stehe, so daß

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