Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
Man könnte die Ehrerbietung vielleicht etwas spöttisch färben.«
»Auch das möchte gut sein«, versetzte der Hauptmann; »denn wenn du sie so nach ihren Wünschen fragst, so merken sie gleich, daß es mehr spaßig gemeint ist, und daß sie’s natürlich hier nicht haben können, oder nur andeutungsweise, wie sie’s gewöhnt sind. Immerhin können sie auf ihren Soldatenhockern nicht sitzen bleiben im kahlen Häuschen. Man muß ihnen zwei Bettlager mit Kopfstütze hineinstellen und, wenn nicht zwei, so doch einen Armsessel mit Fußkissen, daß sie wenigstens abwechselnd darauf sitzen können. Ferner mußt du ihren Wesir abgeben ›Was ißt mein Herr?‹ und ihren Wesir ›Was trinkt mein Herr?‹ und halb und halb ihre Ansprüche erfüllen. Verlangen sie Gänsebraten, so gib ihnen einmal einen gerösteten Storch. Verlangen sie Kuchen, so gib ihnen gesüßtes Brot. Und fragen sie nach Wein, so laß sie ein wenig Traubenwasser haben. In allen Stücken ist ein mittleres Entgegenkommen zu zeigen und die Andeutung zu pflegen. Gehe gleich zu ihnen und mach ihnen mit irgendwie gefärbter Ehrerbietung deinen Besuch. Von morgen ab magst du es je einmal morgens und abends tun.«
»Ich höre und gehorche«, sagte Joseph und begab sich vom Turm hinab gegen die Mauer zum Geierhäuschen.
Die Wachen davor hoben ihre Dolchmesser vor ihm auf und grienten mit ihren Bauerngesichtern, denn sie mochten ihn leiden. Dann schoben sie den schweren Holzriegel von der Türe hinweg, und Joseph trat ein zu den Hofherrn, die in dem hohlen Würfel ihres Gehäuses über ihre Mägen gebeugt auf den Hockern saßen und ihre Hände ob ihren Köpfen gefaltet hielten. Er grüßte sie nach verfeinerter Art, nicht ganz so geziert, wie er es einstmals zuerst von Hor-Waz, dem Schreiber der großen Tore, gesehen hatte, aber im modischen Stil, indem er den Arm gegen sie aufhob und lächelnd dem formellen Wunsche Ausdruck gab, sie möchten die Lebenszeit des Rê verbringen.
Sie waren aufgesprungen, sobald sie seiner ansichtig geworden, und überschütteten ihn mit Fragen und Klagen.
»Wer bist du, Jüngling?« riefen sie. »Kommst du im Guten oder im Bösen? Daß du nur kommst! Daß nur überhaupt jemand kommt! Deine Gebärde ist wohlerzogen, sie läßt darauf schließen, daß ein Feingefühl dir innewohnt für die Unmöglichkeit, die Unerträglichkeit, die Unhaltbarkeit unserer Lage! Weißt du, wer wir sind? Hat man dich unterrichtet? Der Fürst von Menfe sind wir, der Gaugraf von Abôdu, Pharao’s oberster Süßigkeiten-Inspektor und der, der noch über dem Ersten Schreiber Seines Schenktisches ist, Sein General-Kellermeister, der Ihm den Becher reicht bei allergrößten Gelegenheiten, – der Bäcker aller Bäcker, der Erz-Schenk und Herr der Traube im Schmucke des Weinlaubs! Bist du dir darüber klar? Kommst du in diesem Sinne? Machst du dir ein Bild, wie wir gelebt haben – in Gartenhäusern, wo alles mit Blaustein und Grünstein überzogen war, und wo wir auf Daunen schliefen, indessen erlesene Diener uns die Fußsohlen krauten? Was soll aus uns werden in dieser Grube? Man hat uns ins Leere gesetzt, wo wir sitzen seit vor dem Tage hinter Riegeln und niemand sich um uns kümmert! Fluch des Herzens über Zawi-Rê! Nichts, nichts, nichts ist da! Wir haben keinen Spiegel, wir haben kein Schermesser, wir haben kein Schminkkästchen, wir haben kein Badezimmer, wir haben keinen Abtritt, sodaß wir unsere Bedürfnisse an uns halten müssen, die durch die Aufregung sogar noch belebt sind, und Schmerzen leiden – wir, der Erz-Bäcker, der Herr des Weinlaubs! Ist es deiner Seele gegeben, das Himmelschreiende dieses unseres Zustandes zu empfinden? Kommst du, uns zu erlösen und uns das Haupt zu erheben, oder kommst du nur, um zu beobachten, ob unser Elend auch das äußerste ist?«
»Hohe Herren«, antwortete Joseph, »beruhigt euch! Ich komme im Guten, denn ich bin des Hauptmanns Mund und Adlat, von ihm betraut mit dem Überblick. Er hat mich euch zum Diener gesetzt, der nach euren Befehlen fragt, und da mein Herr ein guter, ruhiger Mann ist, so mögt ihr aus seiner Wahl auf meine eigenen Gesinnungen schließen. Das Haupt erheben kann ich euch nicht; das kann nur Pharao, sobald eure Unschuld geklärt ist, von der ich in Ehrerbietung annehme, daß sie vorhanden ist und also geklärt werden kann –«
Hier unterbrach er seine Rede und wartete etwas. Sie sahen ihm beide ins Angesicht: der Eine mit weinselig in Trauer schwimmenden, aber beherzten Äuglein,
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