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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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warme und tiefe, wenn auch ruhige Anteilnahme entgegenbrachte; und wieviel Zeit Jaakobs Sohn um Mai-Sachme’s privater Wünsche willen dem Verwaltungsdienst absparen mußte, ohne diesen zu schädigen, ersieht man daraus, daß der Vogt sich Stunden lang mit ihm darüber beriet, wie er es am besten anfange, die Geschichte seiner drei-einigen Liebschaft, die zum Teil noch eine Sache der Erwartung war, auf eine erfreuliche und womöglich sogar erregende, um nicht zu sagen: erschreckende Weise zu Papier zu bringen, wobei die vornehmlichste und viel erörterte Schwierigkeit darin bestand, daß er sie, um das Erwartete vorweg- und mit aufzunehmen, aus dem Geiste eines alten Mannes von mindestens sechzig Jahren würde zu erzählen haben, was wiederum dem gewünschten, aber sowieso schon durch seine natürliche Ruhe gefährdeten Element der Erregung abträglich zu werden drohte.
    Daneben aber war Josephs eigenes Abenteuer, das ihn ins Gefängnis gebracht, seine Geschichte mit des Kämmerers Weib, der Gegenstand von Mai-Sachme’s belletristischer Sympathie, und Joseph überlieferte sie ihm unter aller Schonung der Heimgesuchten, indem er aber der eigenen Fehler, die er dabei begangen, nicht schonte und sie als entsprechend darstellte den Fehlern, deren er sich vordem gegen seine Brüder und damit gegen seinen Vater, den Herdenkönig, schuldig gemacht, was ihn denn Schritt vor Schritt zurückführte in der Geschichte seiner Jugend und seiner Ursprünge und den klugen runden Augen des Hauptmanns einen fremdartigen und bedeutend verschwimmenden Durchblick gewährte in die Hintergründe der Erscheinung seines Gehilfen, des Sträflings Osarsiph, dessen wunderlichen und offenbar aus Anspielungen gebildeten Namen er sich gefallen ließ und mit der Zartheit des guten Menschen aussprach, obgleich er ihn niemals für des Kömmlings eigentlichen, sondern von vornherein für einen Deckund Spielnamen und für eine bloße Umschreibung hielt des Wortes »Ich bin’s«.
    Die Geschichte von Potiphars Weib hätte er gern im Geist des erfreulichen Schrifttums zu Papier gebracht und unterhielt sich oft mit Joseph über die Mittel und Wege, wie es am besten anzustellen sei. Es geschah aber immer, daß er beim Schreiben in die musterhafte Geschichte von den zwei Brüdern hineingeriet und diese noch einmal schrieb, woran seine Versuche scheiterten.
    So vergingen viele Tage nach diesen, und fast schon ein Jahr war herum, seit Rahels Erster nach Zawi-Rê gekommen war, als ein Zwischenfall in diesem Gefängnis sich ereignete, der nur eine Teil-Erscheinung war schwerer Ereignisse in der großen Welt und, nicht gleich auf der Stelle, aber etwas späterhin, außerordentliche Veränderungen zeitigen sollte für Joseph und auch für Mai-Sachme, seinen Freund und Fronvogt.
    Die Herren
    Eines Tages nämlich, als Joseph sich um die gewohnte Frühstunde mit einigen Geschäftspapieren in des Amtmanns Turmwohnung einfand, um sich Entlastung zu holen, wobei es ganz ähnlich zuzugehen pflegte wie zwischen Peteprê und dem Alt-Meier Mont-Kaw und auch gewöhnlich schon alles auf ein »schon gut, schon gut, mein Lieber« hinauslief, sah diesmal Mai-Sachme die Rechnungen garnicht erst an, sondern wies sie von sich mit seiner Hand, und gleich war seinen ausnehmend hoch gezogenen Brauen und seinen weiter als sonst voneinander getrennten Rundlippen anzusehen gewesen, daß er von einem besonderen Vorfall eingenommen und in den Grenzen seiner natürlichen Ruhe erregt war.
    »Davon ein andermal, Osarsiph«, sagte er in Hinsicht auf die Papiere. »Es ist nicht der Augenblick. Wisse, daß nicht alles in meinem Gefangenenhause ist, wie es gestern und vorgestern war. Es hat sich etwas ereignet und hat stattgefunden vor Tag in aller Stille und unter besonderen, leise überbrachten Befehlen. Lerne von mir, daß eine Einlieferung vorgefallen ist – eine mißliche. Zwei Personen sind eingetroffen bei Nacht und Nebel, zu vorläufiger Verwahrung und Sicherstellung – ungewöhnliche Personen, das heißt: hochstehende Personen, womit ich sagen will: ehemals und eben noch hochstehende Personen, gestürzte und in die Patsche geratene Personen. Du hast einen Fall getan, aber sie taten einen tieferen, da sie viel höher standen. Lerne von mir, was ich dir sage, und frage nach Näherem lieber nicht!«
    »Wer sind sie aber?« fragte Joseph trotzdem.
    »Sie heißen Mesedsu-Rê und Bin-em-Wêse«, antwortete der Amtmann scheu.
    »Nun höre!« rief Joseph. »Was sind denn das für Namen! So

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