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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Fülle und Wirklichkeit des Angedeuteten in ihr zu erblicken, und das war in Josephs Fall die Gestalt des Erwarteten und des Heilbringers, der kommt, um das Alte und Langweilige zu enden und unter dem Jauchzen der Menschheit eine neue Epoche zu setzen. Um diese Gestalt aber, von der Joseph Andeutungen zeigte, webt der Nimbus des Göttlichen – und das ist nun wiederum eine Idee, die die Versuchung in sich trägt, das Metaphorische mit dem Eigentlichen, das Eigenschaftliche mit dem zu verwechseln, wovon die Eigenschaft abgezogen ist. Und ist es eine so irreführende Versuchung? Wo das Göttliche ist, da ist Gott, – da ist, wie Mai-Sachme gesagt haben würde, wenn er überhaupt etwas gesagt und nicht vielmehr nur geahnt und geglaubt hätte, ein Gott: in einer Verkleidung allenfalls, die äußerlich und sogar in Gedanken zu respektieren ist, auch wenn die Verkleidung durch ein unwillkürlich bildhübsches und schönes Aussehen zu einer mangelhaften und sozusagen nicht ganz gelungenen Verkleidung wird. Mai-Sachme hätte kein Kind der Schwarzen Erde sein müssen, um nicht zu wissen, daß es Abbilder Gottes, beseelte Götterbilder gibt, die von den nicht beseelten, leblosen grundsätzlich zu unterscheiden und als lebende Bilder Gottes zu verehren sind, wie Chapi, der Stier von Menfe, und wie Pharao selbst im Horizont seines Palastes. Die Vertrautheit mit dieser Tatsache trug nicht wenig dazu bei, die Vermutungen zu bilden, die er über Josephs Natur und Erscheinung hegte, – und wir wissen ja, daß dieser nicht gerade darauf brannte, solchen Vermutungen zu steuern, sondern es im Gegenteil liebte, die Menschen stutzen zu lassen.
    Für die Schreibstube und das Archiv war Josephs Erscheinen ein rechter Segen; denn so wenig dem Hauptmann die Nachrede gerecht würde, er habe sich keines Dinges angenommen, – die Ordnung in der Kanzlei, die doch in den Augen der übergeordneten Stellen in Theben so wichtig war, hatte, wie er wohl wußte, unter seinen ruhigen Passionen, der Medizin und der Literatur, tatsächlich zu leiden gehabt, was seinem dienstlichen Ansehen gefährlich gewesen war und ihm gelegentlich schon Briefe so höflich wie unangenehm umschriebenen Verweises aus der Hauptstadt eingetragen hatte. Gerade in dieser Beziehung erwies Joseph sich ihm als der erwartete Kömmling, der Bringer der Wende und der Mann des »Ich bin’s«. Er war es, der Ordnung in die Papiere brachte, der Mai-Sachme’s dem Mora- und Kegelspiel sehr ergebene Kanzlisten lehrte, daß die höhere Abgelenktheit des Kommandanten für sie kein Grund sei, die Geschäfte ihrerseits verstauben zu lassen, sondern im Gegenteil einer, sich ihrer desto emsiger anzunehmen, und der dafür sorgte, daß Rechnungslegungen und Rapporte in die Hauptstadt abgingen, die die Oberen wirklich gerne lasen. Sein Aufseher-Stäbchen war in seiner Hand wie eine zum Zauberstab versteifte Kobra-Schlange; denn er brauchte nur einen Speicherkegel damit zu berühren, um sogleich aus freier Hand sagen zu können: »Vierzig Sack Emmer gehen hinein«; und brauchte, wenn es zu bestimmen galt, wieviel Ziegel zum Bau einer Rampe gehörten, den Stab nur an seine Stirn zu führen, um sagen zu können: »Fünftausend Ziegel sind dazu nötig.« Das war das eine Mal richtig gewesen, das andere Mal nicht ganz. Aber daß es einmal so auffallend gestimmt hatte, warf seinen Schimmer noch auf die spätere Ungenauigkeit und ließ sie den Leuten so gut wie richtig vorkommen.
    Kurz, Joseph hatte dem Hauptmann nicht gelogen mit seinem »Ich bin’s«, und es zeigte sich, daß Wirtschaft und Buchführung auch dadurch nicht zu Schaden kamen, daß Mai-Sachme zum Überfluß seine Gegenwart bei ihm im Turme, in seiner Apothekenstube und Schriftstellerei, häufig in Anspruch nahm. Denn er wollte ihn um sich haben und erörterte nicht nur gern solche Fragen mit ihm, wie die wegen der Zahl der Gefäße und wegen der Würmer, ob sie die Ursache oder die Folge der Krankheit seien, sondern er stellte ihn auch an, ihm das Märchen von den Zwei Brüdern, so wie Joseph es für seinen ehemaligen Herrn getan, auf feinem Papyrus mit schwarzer und roter Tinte luxuriös abzuschreiben, wozu er ihn nicht nur wegen seiner schmuckhaften Handschrift, sondern auch persönlich und seinem Schicksale nach besonders geeignet fand. Denn besonders als ein Züchtling der Liebe war der Gekommene ihm interessant, – welchem Gebiet, das ja auch den Haupt-Tummelplatz alles erfreulichen Schrifttums bildet, der Kommandant eine

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