Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
heißt man doch nicht!«
    Er hatte Grund zum Erstaunen, denn Mesedsu-Rê bedeutete: »Verhaßt dem Sonnengotte« – und Bin-em-Wêse hieß »Schlecht in Theben«. Das wären sonderbare Eltern gewesen, die ihren Söhnen solche Namen gegeben hätten.
    Der Hauptmann hantierte mit irgendwelchen Dekokten, ohne Joseph anzusehen.
    »Ich glaubte«, erwiderte er, »du wüßtest, daß man nicht notwendig heißen muß, wie man sich nennt oder zeitweise genannt wird. Die Umstände formen den Namen. Rê selbst wechselt den seinen nach seinen Zuständen. Wie ich sie nannte, so heißen die Herren in ihren Papieren und in den Befehlen, die mir überhändigt sind um ihretwillen. So heißen sie in den Prozeßakten, die geführt werden in ihrer anhängigen Sache, und vor sich selbst heißen sie so gemäß ihren Umständen. Du wirst es nicht besser wissen wollen.«
    Joseph überlegte schnell. Er gedachte der drehenden Sphäre, des Oben, das wiederkommt und wieder aufsteigt im Umschwunge, des Austausches des Gesetzten mit dem Entgegengesetzten, gedachte der Umkehrung. »Verhaßt dem Gotte«, das war gleich Mersu-Rê, »Es liebt ihn der Gott«, und »Bös in Theben« war »Gut in Theben«, Nefer-em-Wêse gewesen. Er wußte aber durch Potiphars Freundschaft gut genug Bescheid an Pharao’s Hof und unter den Freunden des Palastes Merimat, um sich zu erinnern, daß Mersu-Rê und Nefer-em-Wêse die – übrigens von Ehrentiteln ganz zugedeckten – Namen waren von Pharao’s Oberstem Süßigkeitenbereiter, dem Oberbäcker, des Titels »Fürst von Menfe«, und Seines Vorstehers der Schenktischschreiber, des Obermundschenks, »Gaugraf von Abôdu« geheißen.
    »Die wahren Namen«, sagte er, »derer, die da unter deine Hände gegeben sind, die werden wohl lauten: ›Was ißt mein Herr?‹ und ›Was trinkt mein Herr?‹«
    »Nun ja, nun ja«, entgegnete der Hauptmann. »Dir braucht man nur einen Zipfel zu reichen, und du hast schon den Mantel ganz – oder glaubst ihn zu haben. Wisse denn, was du weißt, und frage nach Näherem nicht!«
    »Was mag geschehen sein?« fragte Joseph trotzdem.
    »Laß das!« versetzte Mai-Sachme. »Es heißt«, sagte er, indem er bei Seite sah, »daß man auf Kreidestücke gestoßen ist in Pharao’s Brot und hat Fliegen gefunden im Wein des guten Gottes. Daß so etwas hängen bleibt an den Höchst-Verantwortlichen, und daß sie in Untersuchungszustand versetzt werden unter Namen, die solchem Zustand gebühren, das kannst du dir selber sagen.«
    »Kreidestücke? Fliegen?« wiederholte Joseph.
    »Sie sind vor Tag«, fuhr der Hauptmann fort, »unter starker Bedeckung auf einem Reiseschiffe gebracht worden, das das Zeichen der Verdächtigkeit am Buge und auf dem Segel trug, und sind mir in strenge, wenn auch würdige Verwahrung gegeben worden für die Zeit ihres Prozesses, bis ihre Schuld oder Unschuld ermittelt ist, – eine mißliche, verantwortungsvolle Sache. Ich habe sie im Geierhäuschen untergebracht, du weißt, hier rechts herum an der rückwärtigen Mauer, mit dem klafternden Geier am First, das eben leer stand – leer allerdings, nach ihren Gewohnheiten ist es nicht eingerichtet, sie sitzen dort seit morgens früh bei etwas Bitterbier auf je einem gewöhnlichen Soldatenhocker, und weiter bietet das Geierhäuschen keine Bequemlichkeiten. Es ist schwierig mit ihnen, und wie ihre Sache ausgeht, ob man sie bald in Leichenfarbe versetzt oder die Majestät des guten Gottes ihnen etwa wieder das Haupt erhebt, kann niemand sagen. Nach dieser Unsicherheit haben wir sie zu behandeln und ihrem bisherigen Range in gemessenen Grenzen und übrigens nach unserem Vermögen Rechnung zu tragen. Ich will dich ihnen zum Aufwärter setzen, verstehst du, der ein- oder zweimal am Tage bei ihnen zum Rechten sieht und sich, wenn auch mehr der Form wegen, nach ihren Wünschen erkundigt. Solche Herren bedürfen der Form, und wenn man sie nur nach ihren Wünschen fragt , so ist ihnen schon wohler, und weniger wichtig ist’s dann, ob auch die Wünsche erfüllt werden. Du hast die Umgangsweise und das savoir vivre«, sagte er mit einer akkadischen Lehnphrase, »mit ihnen zu reden und sie nach ihrer Vornehmheit zugleich und nach ihrer Verdächtigkeit zu behandeln. Meine Leutnante hier wären entweder zu grob oder zu unterwürfig mit ihnen. Und doch gilt es, die rechte Mitte zu halten. Eine düster gefärbte Ehrerbietung wäre nach meiner Meinung am Platze.«
    »Der Düsternis«, sagte Joseph, »bin ich nicht so recht Herr und Meister.

Weitere Kostenlose Bücher