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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Mutter des Landes. Daß es mir dunkel blieb bis auf diese Stunde, begreife ich kaum. Nun ist’s an den Tag gebracht mit Hilfe dieses echten, aber eigentümlichen Lammes. Denn wie ich nötig war, damit der König träume, so war er nötig, damit das Lamm weissage, und ist unser Sein nur der Treffpunkt von Nicht-Sein und Immer-Sein, und unser Zeitliches nur das Mittel der Ewigkeit. Aber doch auch nicht nur! Denn es fragt sich und ist das Problem, das ich wohl den Denkern vorlegen möchte von meines Vaters Hause: ob das Zeitlich-Einzige und Besondere mehr Wert und Würde empfängt vom Ewigen her – oder dieses von seiten des Einzig-Besonderen. Das ist eine Frage von der schönen Art derer, die sich nicht lösen lassen, sodaß ihrer Betrachtung vom Abendzum Morgengrauen kein Ende gesetzt ist ...«
    Da er Teje den Kopf schütteln sah, brach er ab.
    »Meni«, sagte sie, »deine Majestät ist unverbesserlich. Du hast uns zugesetzt mit deinen Träumen, die dir für reichswichtig galten, und die du durchaus gedeutet wissen wolltest, damit sie nicht ungehindert sich selber deuteten. Nun aber, da du die Deutung hast oder zu haben glaubst, tust du, als wäre damit alles getan, vergissest der Verkündigung, noch während du selber sie aussagst, und verlierst dich in schöne Unlösbarkeiten und in das Fernliegend-Abgezogenste. Ist das mütterlich? Kaum möchte ich’s väterlich nennen, und nicht kann ich warten, bis dieser hier an seinen Ort zurückgekehrt ist und wir allein sind, daß ich dich unwillig mahne vom Throne der Mutter herab. Es ist möglich, daß dieser Wahrsager sein Handwerk versteht, und was er aussagt, ist möglich. Daß nach wechselnd reichen und leidlichen Zeiten der Ernährer ausblieb und den Fluren den Segen verweigerte zu wiederholten Malen, sodaß Mangel und Teuerung die Länder umschlangen, das ist vorgekommen; es ist wahrlich vorgekommen, sogar siebenmal hintereinander, die Annalen ehemaliger Königsgeschlechter verzeichnen es. Es kann wieder vorkommen, und darum hat dir’s geträumt. Vielleicht aber hat dir’s geträumt, weil es wieder vorkommen soll. Ist dies deine Meinung, mein Kind, so muß die Mutter sich wundern, daß du dich des Besitzes der Deutung zwar freust und dir etwas damit weißt, daß du sie in gewissem Sinn selbst hervorgebracht hast, aber statt sofort alle deine Ratgeber und Großen zusammenzurufen zum Kronrat, um mit ihnen auf Maßnahmen zu sinnen, wie man dem drohenden Übel etwa begegnen könnte, sofort in so luxuriöse Betrachtungen abgleitest, wie die vom Treffpunkt des Nicht-Seins und Immer-Seins.«
    »Aber Mamachen, wir haben Zeit!« rief Amenhotep mit lebhafter Gebärde. »Wo keine Zeit ist, da kann man sich freilich keine nehmen, aber wir können es, denn vor uns liegt Zeit in Fülle. Sieben Jahre! Das ist ja eben das ganz Vorzügliche, weswegen man tanzen und sich die Hände reiben möchte, daß dieses persönliche Lamm nicht ans leidige Schema gebunden war und nicht Fluchzeit geweissagt hat vor der Segenszeit, sondern die Segenszeit erst, solang wie sieben Jahre! Du schöltest mich recht, wenn morgen die Dürre begönne und die Zeit der runzlichten Kühe. Da wäre freilich kein Augenblick zu verlieren, daß man auf den Behelf sänne und die vorbeugende Maßnahme – obgleich meine Majestät sich offen gestanden gegen Mißwuchs gar keine geeignete Maßnahme vorstellen kann. Da uns aber zuvor sieben Jahre der Fettigkeit vergönnt sind im Reich der Schwärze, während derer die Liebe des Volks zu Pharaos Muttertum wachsen wird wie ein Baum, unter dem er sitzen kann und seines Vaters Lehre verkünden, so sehe ich nicht, weshalb wir am ersten Tage gleich ... Deine Augen reden, Wahrsager«, unterbrach er sich, »und du blickst so dringlich drein. Hast du unserer gemeinsamen Deutung etwas hinzuzufügen?«
    »Nichts«, antwortete Joseph, »als die Bitte, deinen Knecht nun an seinen Ort zu entlassen, in das Gefängnis, darin er fronte, und in die Grube, daraus du ihn zogst um deiner Träume willen. Denn sein Geschäft ist beendigt, und seine Gegenwart ziemt sich nicht länger am Orte der Größe. Im Loch wird er leben und zehren von der goldenen Stunde, da er vor Pharao stand, der schönen Sonne der Länder, und vor der Großen Mutter, die ich an zweiter Stelle nenne nur aus der Not des Wortes, das der Zeit gehört und verwiesen ist aufs Nacheinander, ungleich dem Bilde, das sich des Nebeneinander erfreut. Da aber die Nennung der Zeit gehorcht, gebührt dem König die erste, aber

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