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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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dem anderen, nicht neben einander, sondern im Gänsemarsch, und ist keine Lücke zwischen dem Gehenden und Kommenden und kein Unterbruch in der Zeile?«
    »Die Jahre!« rief Amenhotep, indem er vorstoßend mit den Fingern schnippte.
    »Selbstverständlich«, sprach Joseph. »Das braucht aus keinem Kessel zu steigen, und darüber gibt es kein Schäumen und Augenverdrehen, daß die Kühe Jahre sind, sieben und sieben. Und die Ähren, die danach wuchsen, eine nach der anderen, in gleicher Zahl, die werden dann wohl etwas ganz verschiedenes und ungeheuer schwer zu Erratendes sein?«
    »Nein!« rief Pharao und schnippte von neuem. »Sie sind Jahre ebenfalls.«
    »Nach der Gottesvernunft allerdings«, antwortete Joseph, »und der sollte man wohl allerwege die Ehre geben. Daß aber aus den Kühen Ähren wurden, in der zweiten Gestalt deines Traumes, sieben trächtige und sieben taube, – da muß nun wohl ein Kessel her, groß wie der Mond, daß uns heraussteige, wie das zusammenhängt, und welche nähere Bewandtnis es danach hat mit der Schönheit der sieben Kühe, die zuerst kamen, und der Häßlichkeit derer, die ihnen folgten. Pharao sei so gnädig, einen Kessel kommen zu lassen auf einem Dreifuß.«
    »Aber geh doch mit deinem Kessel!« rief wieder der König. »Ist denn dies der Augenblick, von einem Kessel zu reden, und brauchen wir wohl einen solchen? Die Bewandtnis liegt ja klar auf der Hand und ist durchsichtig wie ein Edelstein reinsten Wassers! Mit der Schönheit und Häßlichkeit der Kühe hat es Ähren-Bewandtnis und die Bewandtnis von Wuchs und Mißwuchs.« Er hielt inne und sah mit offenen Augen in die Lüfte hinaus. »Sieben fette Jahre werden kommen«, sprach er entgeistert, »und sieben der Teuerung.«
    »Sicher und ohne Verzug«, sagte Joseph, »denn zweimal ward dir’s verkündigt.«
    Pharao richtete die Augen auf ihn.
    »Du bist nicht tot umgefallen nach der Weissagung«, sagte er mit einer gewissen Bewunderung.
    »Klänge es nicht so gräßlich und sträflich«, erwiderte Joseph, »so müßte man sagen, es sei verwunderlich, daß Pharao nicht tot umfällt, denn er hat geweissagt.«
    »Nein, das sagst du nur so und hast es mir nur so vorkommen lassen, als ein Schelmensohn«, widersprach Amenhotep, »als ob ich selber geweissagt hätte und meine Träume gedeutet. Warum konnt’ ich es denn nicht zuvor, ehe du kamst, und wußte nur, was falsch war, nicht aber, was recht? Denn daß diese Deutung recht, darüber besteht nicht der leiseste Zweifel in meiner Seele, und genau erkennt mein einiger Traum sich in der Deutung wieder. Du bist wahrlich ein inspiriertes Lamm, aber von ausgesprochener Besonderheit. Denn du bist kein Sklave des bindenden Musters der Tiefe und hast mir nicht erst Fluchzeit und dann Segenszeit wahrgesagt, sondern umgekehrt, erst den Segen und dann die Heimsuchung, das ist das Originelle!«
    »Du warst es, Herr der Länder«, antwortete Joseph, »und es lag an dir. Denn du hast geträumt, nämlich zuerst die fetten Kühe und Ähren und dann die erbärmlichen, und bist der einzig Originelle.«
    Amenhotep arbeitete sich aus der Höhlung seines Stuhles empor und sprang auf die Füße. Mit schnellen Schritten trat er auf seinen sonderbaren dick-dünnen Beinen, deren Oberschenkel durch den Batist schienen, vor den Sitz seiner Mutter.
    »Mutter«, sprach er, »es ist an dem, meine Königsträume sind mir gedeutet, und ich weiß nun die Wahrheit. Wenn ich an den gelehrten Bettel denke, den man meiner Majestät vordem als Wahrheit verkaufen wollte, an die Töchter, die Städte, die Könige und die vierzehn Kinder, so lächert’s mich, da es mich vorher seiner Minderwertigkeit wegen zur Verzweiflung trieb; nun aber, wo ich dank diesem prophetischen Jüngling die Wahrheit weiß, kann ich drob lachen. Ernst allerdings ist die Wahrheit. Meiner Majestät wurde angezeigt, daß sieben reiche Jahre kommen werden in ganz Ägyptenland, und nach denselben werden sieben Jahre teure Zeit kommen, von solcher Art, daß man der vorherigen Fülle ganz vergessen wird, und wird die Teuerung das Land verzehren, gleich wie die mageren Kühe die fetten verzehrten und die brandigen Ähren die goldenen, denn das war zugleich die Ansage davon, daß man nichts mehr wissen wird von der Fülle im Lande vor der teuren Zeit, die nachher kommt und wird mit ihrer Schwere das Gedächtnis der Fülle verzehren. Das ist es, was Pharao geoffenbart wurde durch seine Träume, die einer waren, und die ihm zugeführt wurden als der

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