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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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die zweite ist nicht die zweite, denn die Mutter war vor dem Sohne. Soviel zur Reihenfolge. Wohin meine Wenigkeit nun aber zurückkehrt, dort werde ich in meinen Gedanken dieses Gespräch der Großen weiterführen, in das mich in Wirklichkeit einzumischen sträflich wäre. Pharao hatte wohl recht, werde ich lautlos zu mir selber sagen, sich der Umkehrung zu freuen und der schönen Frist, die vor der Fluchzeit kommt und den Jahren der Dürre. Aber wie recht hatte nicht auch die Mutter, die vor ihm war, mit ihrer Meinung und Mahnung, daß sogleich vom Tage der Segensfrist an, und vom Tage der Deutung, Sinnen und Ratschlag dem kommenden Übel gelten müsse – nicht ums zu verhüten, – man verhütet nicht Gottes Ratschlag, – aber ihm vorzudenken und vorzubauen kraft der Voraussicht. Denn die Segensfrist, die uns verheißen ist, hat ja nicht nur den Sinn des Aufschubs und des Atemholens zum Tragen der Heimsuchung, sondern ist der Raum der Vorsorge und das einzige Mittel zu Maßnahmen, um dem schwarzen Vogel des Ungemachs allenfalls die Schwingen zu stutzen und das kommende Übel aufzufangen, ihm entgegenzuwirken und es möglicherweise nicht nur in Schranken zu halten, sondern ihm vielleicht noch Segen abzugewinnen obendrein. So oder ähnlich werde ich im Verlies zu mir selber sagen, da meine Worte ins Gespräch der Großen zu werfen mehr als unstatthaft wäre. Ein wie großes und herrliches Ding, werde ich leise rufen, ist nicht die Vorsorge, die am Ende gar noch das Verhängnis zum Segen zu wenden vermag! Und wie gnädig ist Gott, daß er dem König einen so weiten Überblick gewährt in der Zeit durch seine Träume, – nicht nur über sieben Jahre, sondern gleich über vierzehn, – darin liegt die Gewährung und das Gebot der Vorsorge! Denn die vierzehn sind eine Zeit, wiewohl zweimal sieben, und fangen nicht in der Mitte an, sondern am Anfang, das ist heute, und ist heute der Tag des Überblicks über das Ganze. Überblick aber ist wissende Vorsorge.«
    »Das ist doch wundersam«, bemerkte Amenhotep. »Hast du nun gesprochen oder hast du nicht gesprochen? Du hast gesprochen, indem du nicht sprachst und uns nur deine Gedanken belauschen ließest, nämlich die, die du erst zu denken gedenkst. Und ist doch so gut, als hättest du gesprochen. Mir scheint, du hast da eine Schalks-Erfindung gemacht und etwas aufgebracht, was es noch nicht gab.«
    »Alles gibt es einmal zum ersten Mal«, erwiderte Joseph. »Aber sehr lange schon gibt es die wissende Vorsorge und die verständige Nutzung der Frist. Hätte Gott die Fluchzeit gesetzt vor die Segenszeit und sie begänne morgen, so wäre kein Rat, und nichts wäre zu tun, und was die Spreujahre angerichtet unter den Menschen, würde auch von der folgenden Fülle nicht gut gemacht. Nun aber ist’s umgekehrt, und es ist Zeit – nicht, daß man damit geude, sondern daß man den Mangel gut mache durch die Fülle und einen Ausgleich schaffe zwischen Fülle und Mangel, indem man die Fülle spart, um den Mangel damit zu nähren. Das ist die Weisung, die in der Reihenfolge liegt, daß zuerst die fetten Kühe hervorstiegen und dann die dürren, und ist der Herr des Überblicks berufen und bestellt zum Ernährer des Mangels.«
    »Du meinst, aufhäufen soll man Speise und in die Scheuern sammeln?« fragte Amenhotep.
    »In größtem Stile!« sprach Joseph mit Festigkeit. »In ganz anderem Maß, als es je geschehen ist, seit die Länder bestehen! Der Herr des Überblicks sei der Zuchtmeister der Fülle. Er bedrücke sie streng und nehme ihr je und je, solange sie währt, was er braucht, um Herr zu sein auch des Mangels hernach. Pharao ist die Quelle der Fülle, und leicht wird die Liebe des Volks es tragen, daß er die Fülle bewirtschaftet mit drückender Strenge. Kann er aber austeilen im Mangel, wie wird da die gläubige Liebe des Volks erst wachsen, daß er sitzen möge in ihrem Schatten und lehren! Der Herr des Überblicks sei der Schattenspender des Königs.«
    Da er dies gesagt, begegneten Josephs Augen von ungefähr denen der großen Mutter, der kleinen, dunklen, die immer noch aufrecht und göttlich geordnet auf ihrem Hochstuhle saß mit geschlossenen Füßen, – ihren klugen, scharfblickenden Augen, die, dunkel im Dunklen glänzend, auf ihn gerichtet waren, während die Furchen um ihren aufgeworfenen Mund ein spöttisches Lächeln bildeten. Er senkte ernsthaft die Lider vor diesem Lächeln, nicht ohne ein sittsames Blinzeln.
    »Habe ich dich recht belauscht«, sagte

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